Martin Schmidt, 7-maliger Deutscher Meister mit dem THW Kiel, im Interview über die besondere Brisanz des Nordderbys zwischen Flensburg und Kiel und die Ausgangssituation vor der 80. Auflage des Klassikers am Samstag.
Martin Schmidt trägt den THW Kiel im Herzen. 12 Jahre lang ging der Rechtsaußen für die Zebras auf Torejagd, feierte mit dem Top-Club sieben Deutsche Meisterschaften (1994, 1995, 1996, 1998, 1999, 2000, 2002), drei DHB-Pokalsiege (1998, 1999, 2000) und holte zweimal den EHF-Pokal (1998, 2002). Der Erfolg im Verein brachte den Linkshänder auch ins Blickfeld der Nationalmannschaft. 42 Mal lief Schmidt für die DHB-Auswahl auf, erzielte 67 Tore. Nach 321 Einsätzen für den THW Kiel in der stärksten Liga der Welt hängte der heute 44-jährige Vater eines Sohns und einer Tochter die Handballschuhe 2003 an den Nagel, blieb den Fans später aber in seiner Funktion als Handball-Experte des Sportsenders Eurosport erhalten, für den er regelmäßig Spiele der EHF Champions League kommentierte. Im Interview der Woche erklärt Schmidt einen Tag vor dem Nordschlager SG Flensburg-Handewitt gegen THW Kiel (Samstag, ab 18.55 Uhr live auf SPORT1) die besondere Atmosphäre des Derbys und schätzt die Ausgangssituation vor der 80. Auflage des ewig jungen Klassikers ein.
Herr Schmidt, Flensburg gegen Kiel, Kiel gegen Hamburg, Hamburg gegen Flensburg – welches Duell ist denn nun das einzig wahre Nord-Derby?
Martin Schmidt: Natürlich haben die Duelle gegen den HSV Handball für die beiden Top-Clubs aus Schleswig-Holstein immer einen hohen Stellenwert. Aber ich denke doch, das Derby schlechthin, das aus seiner langen Historie auch immer eine große Brisanz zieht, ist die Partie SG Flensburg-Handewitt gegen THW Kiel.
Sie waren 12 Jahre lang für den THW Kiel am Ball, haben dementsprechend viele Nord-Schlager selbst miterlebt. Wie geht man als Spieler mit der Brisanz dieses Lokalderbys um?
Schmidt: Auch für einen Spieler ist ein Derby immer ein besonderes Spiel. Wenngleich ein Profisportler vor jeder Partie natürlich gewisse Automatismen abspult, hat es für mich im THW-Trikot doch immer ein wenig mehr gekribbelt, wenn es Richtung Flensburg ging. Allein die An- und Abfahrten waren ungewöhnlich, weil sie so kurz waren wie sonst nie. Und unter uns: Die kurze Abreise kam uns manchmal wirklich entgegen. Zu meiner Zeit haben wir ja oft genug in Flensburg verloren (lacht). Derbysiege schmeckten dafür umso süßer.
Wie schnell kann der Stellenwert dieses Nord-Schlagers Neuzugängen vermittelt werden? Derbysiege sind für die Herzensfans im Zweifel wichtiger als Titel.
Schmidt: Die DKB Handball-Bundesliga und damit auch das Duell Flensburg gegen Kiel sind in Europa allseits bekannt. Und weil eine Handballmannschaft gemeinhin ein recht verschworener Haufen ist, wurden die Neuzugänge, egal aus welchem Land sie kamen, recht schnell mit dem Virus des Nord-Derbys infiziert. Diese ganz besondere Stimmung im Vorfeld und während des Spiels hat jeder sofort aufgesogen.
Ihr ganz persönlicher Derbymoment?
Schmidt: Ich tue mich schwer, da einen konkreten Moment herauszustellen. Jedes Derby hat seine eigene Geschichte – das hat immer mit Tabellensituationen und anderen Konstellationen zu tun. Eines machte aber jedes Derby aus: Es waren immer denkwürdige Spiele mit Ausnahme-Atmosphäre, bestimmt nicht immer besonders freundlich, aber immer besonders intensiv.
Wie schätzen Sie die Ausgangssituation vor diesem 80. Nord-Derby in Flensburg ein?
Schmidt: Im DHB-Pokal unter der Woche haben es die Kieler ganz schön spannend gemacht, während die Flensburger einen unglaublichen Kantersieg zu Hause errungen haben. (Die Auslosung des DHB-Pokalviertelfinals überträgt SPORT1 morgen in de Halbzeitpause der Partie SG Flensburg-Handewitt gegen THW Kiel live im Free-TV) Daraus aber eine Prognose für den Ausgang des Derbys zu treffen, ist sicherlich nicht möglich. Ich denke, die Karten werden am Samstag neu gemischt – wobei der Heimvorteil für die SG nicht wegzudiskutieren ist. Gerade zu Hause sind die Flensburger durch ihre stabile Abwehr und ihren überragenden Torwart immer in der Lage, enorm viel Druck auszuüben.
Das heißt: Vorteil Flensburg?
Schmidt: Das ist doch im Grunde alles Kaffeesatzleserei. Der THW kann vermutlich mit voller Kapelle in Flensburg antreten, auch wenn Filip Jicha und Aron Palmarsson bestimmt noch nicht bei 100 Prozent sind. Bei der SG ist Holger Glandorf angeschlagen, spielt aber trotzdem auf unglaublich hohem Niveau. Jim Gottfridsson wird definitv fehlen. Wie immer, wenn zwei Mannschaften mit einer hohen Qualität in Angriff und Abwehr aufeinander treffen, dürfte die Torwartleistung eine ganz entscheidende Rolle spielen. In dieser Hinsicht setzt natürlich Mattias Andersson regelmäßig Ausrufezeichen, wenn es gegen seinen Ex-Verein geht. Aber auch Johan Sjöstrand kennt die „Hölle Nord“ als ehemaliger Flensburger sehr gut und in dieser Saison auch schon hervorragende Leistungen abgerufen hat.
Neben den beiden schwedischen Torhütern hat auch ein deutscher Nationalspieler im Sommer die Seiten gewechselt. Wie wird Steffen Weinhold an seiner alten Wirkungsstätte empfangen werden?
Schmidt: Da mache ich mir keine Sorgen. Steffen ist ein Spieler, der immer mit Herz spielt. Seine Spielweise reißt einfach mit, er gibt immer alles. Auch noch im Champions-League-Finale im Juni gegen Kiel, als schon längst feststand, dass er im Anschluss zum THW wechselt. Deswegen denke ich auch nicht, dass ihm sein Wechsel in Flensburg übel genommen und er am Samstag auf irgendeine Weise unfreundlich empfangen wird.
Für den THW warten mit den Partien gegen die Nord-Rivalen Flensburg und Hamburg noch zwei absolute Kracher im alten Jahr. Wie können die Zebras mit der Hinserie der laufenden Saison zufrieden sein?
Schmidt: Der Ausrutscher gleich zum Saisonauftakt in Lemgo hat mit Sicherheit ein bisschen Unsicherheit ins Team gebracht. Kapitän Filip Jicha war zu diesem Zeitpunkt nicht fit, wollte sich dennoch in den Dienst der Mannschaft stellen, konnte aber nicht wie gewohnt helfen. Und die Neuzugänge wie Joan Canellas und Domagoj Duvnjak und Steffen Weinhold waren zu Beginn noch nicht so recht integriert. Diese Probleme haben sich nun aber nach und nach gelegt. Das drückt sich eindeutig dadurch aus, dass die Mannschaft nach dem holprigen Start im September schlichtweg alles gewonnen hat. Das gibt Sicherheit, gerade auch in engen Spielen. Um es kurz zu sagen: Der THW ist auf Kurs.
Quelle: http://www.dkb-handball-bundesliga.de