Der Rekordmeister ist entzaubert! Mit einem hoch verdienten 29:25 (15:10)-Erfolg gegen den THW Kiel setzte die MT Melsungen ein ganz dickes Ausrufezeichen in der DKB-Handball-Bundesliga, bestätigte die eigenen Ambitionen auf einen Platz im oberen Drittel und stürzte die Zebras nach deren zweiter Niederlage in Folge in eine veritable Krise. Die MT nahm gegen Ende der ersten Hälfte das Heft in die Hand und brachte die mit 4.300 Zuschauern restlos ausverkaufte Kasseler Rothenbach-Halle fast durchgehend zum Jubeln. Auch wenn die Norddeutschen zur Mitte der zweiten Hälfte noch einmal näher kamen, geriet der Sieg Melsungens nie in wirkliche Gefahr. Michael Allendorf war mit sieben Treffern, davon drei Siebenmeter, erfolgreichster Schütze der Nordhessen. Für den THW traf Ekberg (7/4) am häufigste
Ausgerechnet vor dem großen Spiel gegen den Rekordmeister hatte es die MT erwischt. Philipp Müller ebenso verletzt wie sein Zwillingsbruder Michael, Felix Danner angeschlagen, Johan Sjöstrand gehandicapt durch eine schwere Grippe unter der Woche. Die beiden letztgenannten saßen immerhin für Notfälle auf der Bank. Das waren alles andere als gute Voraussetzungen, was sich am deutlichsten in der Anfangsaufstellung zeigte. Da stand Nebojsa Simic zwischen den Pfosten und Youngster Johannes Golla neben Finn Lemke in der Innenverteidigung. Kiel musste ohne seine Langzeitverletzten Domagoj Duvnjak und Raul Santos auskommen, hatte aber immerhin René Toft Hansen wieder voll mit an Bord.
Dennoch war es gerade die Deckung der Melsunger, die anfangs prima arbeitete und Simic das Leben und die Paraden einfacher machte. Anfälliger dagegen präsentierte sich der Angriff. Timm Schneider zielte knapp am Kieler Kasten vorbei, Dener Jaanimaa fand in Andreas Wolff seinen Meister. Tore blieben nicht nur Mangelware, sondern aus dem gebundenen Spiel heraus bis zur achten Minute komplett aus. Erst dann verkürzte Julius Kühn den durch zwei Siebenmeter von Niklas Ekberg zustande gekommenen Rückstand mit dem ersten Feldtor der Partie auf 1:2.
Es blieb ein Spiel der Abwehrreihen. Beide Mannschaften fanden die Lücken in der jeweils gegnerischen Abwehrwand nur selten. Da kam es gelegen, dass nach Finn Lemkes 5:5-Ausgleich über die erste Welle erstmals in dieser Saison das schnelle Spiel der MT wieder funktionierte. Zwei Ballgewinne, zwei Gegenstöße über Michael Allendorf und noch einmal Lemke – die Hausherren führten mit 7:5 (14.). Den nächsten Konter von Tobias Reichmann nahm Wolff zwar spektakulär weg, dafür traf kurze Zeit später wieder Allendorf im Alleingang auf Zuspiel des aufmerksamen Marino Maric zum 9:7 (18.). Für die schönsten Tore sorgte jedoch Maric selbst. Zuvor bereits auf Zuspiel von Kühn, dann akrobatisch mit einer Hand agierend und dem Rücken zum Tor nach Pass von Lasse Mikkelsen (10:8, 20.).
Die Nordhessen fanden durchgängig die besseren Lösungen gegenüber Kiel, das seine Angriffe mangels zündender Ideen aufreizend lange ausspielte und sich zudem in Einzelaktionen verstrickte. Ein weiterer Faktor war Nebojsa Simic, der Sjöstrand glänzend vertrat und Ball auf Ball wegfischte. Einzig Lukas Nilsson vermochte den rot-weißen Riegel zu knacken und traf dreimal in Folge jeweils zum Anschluss (11:10, 24.). An der nordhessischen Dominanz änderte das nichts. Julius Kühn, Michael Allendorf und Lasse Mikkelsen mit dem nächsten Tempogegenstoß sowie einem Dreher um den mittlerweile eingewechselten Niklas Landin herum erhöhten noch vor dem Halbzeitpfiff auf 15:10 gegen offensiv ziemlich einfallslose Zebras.
Den besseren Auftakt im zweiten Durchgang erwischte zunächst der THW. Steffen Weinhold, Rune Dahmke und Niklas Ekberg verkürzten schnell auf 16:13, um dann jedoch ebenso schnell wieder in die Fehler der ersten Hälfte zu verfallen. Mikkelsen, Lemke mit seinem dritten Gegenstoßtor und Allendorf ganz frei vom Kreis sogar in Unterzahl erhöhten auf 19:13, ehe Simic mit seinen Glanzparaden das Publikum zum Toben brachte und Kühn unwiderstehlich zum 20:13 netzte (38.). Alfred Gialason blieb nur eine Auszeit als Gegenmaßnahme, um sein Team wieder neu auszurichten.
Seine Umstellung auf eine 3:2:1-Deckung fruchtete erst einmal, weil Kühn eine Strafe kassierte. Auch der zurückgekommene Andreas Wolff sorgte für einen Ballgewinn, so dass Niklas Ekbergs Siebenmeter schon auf 20:16 verkürzte (41.). Auch eine doppelte Schwächung nach Zeitstrafen in kurzer Abfolge gegen Weinhold und Dissinger überstand der Rekordmeister dank zweier Tore von Nilsson unbeschadet. Es war Feuer drin in dieser Partie. Erst recht nachdem Weinhold im Gegenstoß das 22:19 erzielte und nun Michael Roth die Grüne Karte als Reißleine ziehen musste 45.).
Das half, wie vorher schon auf der Gegenseite, das eigene Spiel wieder runder zu bekommen und einen spielerischen Ausgleich herbeizuführen. Gerade in der Defensive, die an die famose Leistung der ersten Hälfte anknüpfen konnte und Kiel, das nun auf die Künste von Steffen Weinhold als Spielmacher setzte, im Angriff vor große Probleme stellte. Offensiv mussten neue Lösungen her, weil Bilyk Kühn in kurze Deckung nahm. Das nahm einiges weg von der vorherigen Durchschlagskraft. Bestnoten verdiente sich allerdings Lasse Mikkelsen, der immer wieder das Heft in die Hand nahm und auch selbst traf (26:22, 54.).
Den Auftakt zum furiosen Schlussspurt der letzten fünf Minuten machte Johannes Golla nach tollem Zuspiel von Dener Jaanimaa an den Kreis, gefolgt von Tobias Reichmanns Tempogegenstoß zum 28:23 nach Julius Kühns Monsterblock im Deckungszentrum. Zwei sensationelle Paraden von Simic erschütterten die randvolle Rothenbach-Halle in ihren Grundfesten, der Lärmpegel des längst stehenden Publikums war nach Johannes Gollas Treffer zum 29:25-Endstand in der Schlussminute auch durch Simic‘ letzten Geniestreich indes längst nicht mehr zu steigern.
Stimmen zum Spiel
Michael Roth: Wir sind natürlich überglücklich heute. Klar, das ist immer so, wenn man gegen Kiel gewonnen hat. Aber auch darüber glücklich, wie wir das spiel gestaltet haben. Das war eine fantastische Leistung. Auch wenn wir in der zweiten Hälfte unseren Vorsprung noch einmal gebraucht haben, als wir in ein kleines Tal kamen. Insgesamt haben wir sehr diszipliniert gespielt und auf unsere Chancen gewartet. Man hat zuletzt gesehen, dass Kiel da Probleme bekommt und das wollten wir gezielt ausnutzen. Waren aber auch gut eingestellt und haben sicher davon profitiert, dass wir ein paar Tage mehr Zeit hatten als der Gegner. In der zweiten Hälfte hat uns Nebojsa Simic mit seinen Paraden geholfen, die Euphorie immer hoch zu halten. Es war eine überwältigende Stimmung in der Rothenbach-Halle, das war Gänsehaut pur.
Alfred Gislason: Glückwunsch an Melsungen zum verdienten Sieg. Wir haben in der ersten Hälfte leider extrem viele technische Fehler gemacht und auch viele Bälle verworfen. Die MT-Abwehr stand auch sehr gut, aber selbst wenn wir etwas herausgespielt hatten blieb zu viel liegen. Wir haben hinten viel gekämpft, haben auch viel ausprobiert, aber es hat nichts gefruchtet. Daneben haben wir erst Kühn nicht in den Griff bekommen und anschließend dann Mikkelsen. Für unsere vielen mitgereisten Fans tut es mir leid, dass wir heute nicht besser gespielt haben.
Statistik
MT Melsungen: Simic (17 Paraden / 25 Gegentore), Sjöstrand (n. e.); Maric 2, Kühn 6, Lemke 3, Golla 2, Reichmann 2, Mikkelsen 6, Danner, Boomhouwer, Schneider, Allendorf 7/3, Jaanimaa 1, Haenen - Trainer Michael Roth.
THW Kiel: Landin (1 Tor, 2 P. / 11 G.), Wolff (6 P. / 18 G.); Toft Hansen 1, Firnhaber, Weinhold 3, Dissinger, Wiencek 3, Ekberg 6/4, Zeitz, Frend Öfors, Rahmel, Dahmke 1, Zarabec 2, Vujin 1, Bilyk 1, Nilsson 5 – Trainer Alfred Gislason.
Schiedsrichter: Hanspeter Brodbeck / Simon Reich (Reutlingen / Metzingen)
Zeitstrafen: 10 – 10 Minuten (Schneider 6:16, Reichmann 23:06, Golla 34:52, Kühn 37:28, Schneider 56:39 – Bilyk 19:28, Wiencek 23:06, Dissinger 41:01 45:46, Weinhold 41:10).
Strafwürfe: 3/3 – 4/4
Zuschauer: 4.300 in der Rothenbach-Halle, Kassel (ausverkauft).
Die nächsten Spiele:
SO, 17.09.17, 12:30 Uhr, TBV Lemgo - MT Melsungen, Lipperland-Halle
DO, 21.09.17, 19:00 Uhr, MT Melsungen - SG Flensburg-Handewitt, Rothenbach-Halle
Quelle: PM MT Melsungen