Fast 40 Minuten lang bot die dezimierte MT Melsungen dem haushoch favorisierten Gast Paroli, ehe sie ihre bis dahin formidable Leistung durch eine 10-minütige Schwächephase schmälerte. Dass der HSV Hamburg am Ende noch deutlich mit 35:28 (15:15) die Nase vorn haben sollte, verdankte er nicht zuletzt den nachlassenden Kräften einer Melsunger Rumpftruppe, die sich nach den Ausfällen von Dalibor Anusic, Grigorios Sanikis und kurzfristig auch Savas Karipidis fast von selbst aufstellte.
Ohne wirkliche Aussichten auf eine Überraschung waren sie gestartet, hatten die krasse Außenseiterrolle einfach ausgeblendet und spielten munter drauflos. In der anfangs ungewohnt durchlässigen HSV-Abwehr taten sich Löcher auf, in die vor allem Jens Schöngarth stieß. Zwei feine Tore, dazu zweimal nur auf Kosten eines Siebenmeters gestoppt, die Nenad Vuckovic beide sicher verwandelte, einen Treffer von Dimitrios Tzimourtos mustergültig per Zuspiel hinter dem Rücken vorbereitet. Das Arbeitsprotokoll des jungen Melsunger Halbrechten las sich bis zu zehnten Minute makellos und rechtfertigte das Vertrauen von Trainer Ryan Zinglersen, den Juniorenweltmeister zunächst Alexandros Vasilakis vorzuziehen. Mit 6:4 führten die Nordhessen zu diesem Zeitpunkt nicht einmal unverdient, weil auch das gebundene Spiel mit Vladica Stojanovic in der Spielmacherrolle wesentlich gefälliger aussah als das der Gäste, bei denen Guillaume Gille oftmals vergeblich Anspielstationen suchte.
Ein weiteres Plus auf Seiten der Bartenwetzer war Mario Kelentric im Tor, der seinen gegenüber Johannes "Jogi" Bitter deutlich ausstach. Jedoch manchmal unverschuldet ohne den verdienten Erfolg seiner Bemühungen. Denn die Abpraller des Kroaten landeten zu oft wieder beim Gegner. Wie vor dem 6:6-Ausgleich, als Kelentric zweimal glänzend pariert hatte, Vori aber dann doch einnetzen konnte. In dieser Situation bekam auch Jens Schöngarth noch zwei Minuten aufgebrummt, was dem HSV in Überzahl sogar noch die Führung bescherte. Überhaupt wurde es hakeliger auf dem Feld.
Thomas Klitgaard und Igor Vori waren durch einen Ellbogenstoß des Hamburgers, nach dem Klitgaard behandelt werden musste, schon früh aneinander geraten und trugen fortan am Kreis ihre kleine Privatfehde aus. Der Konzentration des Dänen tat das nicht gut. Erst griff er bei zwei Anspielversuchen nicht richtig zu, dann ließ er sich einmal mehr von Vori provozieren und musste für zwei Minuten das Feld verlassen. Die Hamburger nutzten die Situation routiniert und eiskalt aus: statt 9:8 für die MT stand es plötzlich 9:11 (19.).
Doch Melsungen blieb dran. Weiter als bis auf diese zwei Tore kam der Tabellenführer nicht weg. Nach 25 Minuten sammelte Martin Schwalb seine Spieler zur Auszeit um sich, weil die Gastgeber zum 13:13 ausgeglichen hatten und trotz fehlender Alternativen von der Bank weiter Paroli boten. Einzig Alexandros Vasilakis sorgte für Entlastung, der Rest musste erst einmal mehr oder weniger durchspielen. Schwalb hatte schon Minuten zuvor Bitter aus dem Gehäuse genommen und Per Sandström gebracht. Zunächst ohne große Wirkung, denn der wurde wie zuvor schon Bitter von seiner Abwehr oft allein gelassen.
Zweimal Vasilakis, Klitgaard und Tellander brachten die MT zum 12:12-Ausgleich (23.). Nun kam Domagoj Duvnjak für den wenig effektiven Guillaume Gille als Spielmacher, doch auch das brachte zunächst keine echten Vorteile. Zweimal Matthias Flohr von Außen, zweimal der direkte Ausgleich durch einen Siebenmeter von Nenad Vuckovic und Thomas Klitgaard vom Kreis. Der Favorit schaffte es einfach nicht, sich zu lösen. Nicht einmal zur Halbzeitführung sollte es reichen - trotz Überzahl nach einer Strafe gegen Dimitrios Tzimourtos und einem Strafwurf von Hans Lindberg. Denn den parierte der hereingenommene Robert Lechte reaktionsschnell und hielt Rot-Weiß auf Augenhöhe (15:15, 30. Min.).
Immer noch in Unterzahl begann die MT Melsungen die zweite Hälfte furios. Alexandros Vasilakis drosch den Ball sogar zur Führung ins Tor, die Krzysztof Lijewski allerdings postwendend egalisierte. Kaum wieder vollzählig legte Vasilakis gleich noch einmal nach. Auch die Defensive erledigte ihren Part perfekt. Ein Ball vom hereingenommenen Pascal Hens wurde geblockt, Mario Kelentric schickte Daniel Tellander mit einem weiten Pass auf die Reise und der Schwede erhöhte gar auf 18:16. 4.200 Anhänger der MT standen Kopf, die 100 mitgereisten Hamburger rieben sich verwundert die Augen.
Der Meisterschaftskandidat stand nach der Pleite gegen Gummersbach und dem Zittersieg in Berlin ein weiteres Mal dicht vor dem Abgrund. Was jedoch Alex Vasilakis in dieser Phase für die MT war, das hatte der HSV in Person von Krzysztof Lijewski zu bieten. Die beiden Linkshänder drückten dem Spiel minutenlang ihren Stempel auf und lieferten sich ein Wettschießen, das der Grieche mit 4:3 gegen den Polen gewann. Dass es trotzdem in einem 20:20 nach 38 Minuten endete, war einem Tor von Duvnjak und einem Tempogegenstoß von Torsten Jansen, einem weiteren frischen Spieler von der Bank, zu verdanken.
Als auch der angeschlagene Vasilakis dem hohen Tempo Tribut zollen musste und wie schon zuvor Vladica Stojanovic und Nenad Vuckovic anfing Fehler zu produzieren, drehte sich das Spiel. Jeder Ballverlust der Melsunger im Angriff wurde sofort und konsequent zum schnellen Gegenstoß genutzt. Hans Lindberg, Krzysztof Lijewski und Torsten Jansen trafen unbedrängt, weil auch die Kraft der MT zum Zurücklaufen langsam ausging.
Zwar glomm nach Dimitrios Tzimourtos' Anschluss zum 21:23 noch einmal ein Fünkchen Hoffnung auf, doch das wurde durch die zweite Zeitstrafe gegen Jens Schöngarth sofort wieder gelöscht. Zwar stemmte sich die Mannschaft mit aller Macht gegen den immer sicherer agierenden HSV, verpulverte aber in diesen zwei Minuten, in denen sie nur einen Siebenmetertreffer von Lindberg zuließ, auch die letzten Kraft- und Konzentrationsreserven. Ein Übriges tat Per Sandström im Tor der Gäste, der selbst klarste Einwurfmöglichkeiten von Nenad Vuckovic, Thomas Klitgaard und Daniel Tellander zunichte machte.
So kam es, wie es in Anbetracht des 11-Tabllenplätze bestehenden Unterschieds kommen musste. Die Melsunger verzweifelten sichtbar an ihren nachlassenden Kräften, verzettelten sich in fruchtlosen Kombinationen oder ließen sich die Bälle ganz einfach aus der Hand spielen. So wie bei Igior Voris Tor zum 21:28 (48.), dem vierten Tempogegenstoß in Folge innerhalb vier Minuten. Will heißen: Melsungen spielte sich selbst die letzten Reserven weg, hatte viel mehr Ballbesitz als der Gegner, der aber machte mit nur Sekunden dauernden Angriffen die entscheidenden Tore.
Insofern darf man aus Melsunger Sicht nicht einmal böse sein über die am Ende deutlich scheinende Niederlage. Denn die spiegelt keinesfalls die grandiose Leistung des Tabellenzwölften über 40 Minuten wider. Auf die volle Spielzeit gesehen und trotz des Einbruchs in der zweiten Hälfte machte vor allem die Einstellung Hoffnung für die nächsten Partien. Und dass die Hanseaten am Ende etwas die Fahrt raus genommen hatten zählt auch nicht unbedingt als Kriterium, denn bedingt durch den hohen Rückstand gingen auch die Melsunger zum Ende hin nicht mehr ganz bis in den roten Bereich.
Stimmen zum Spiel
Martin Schwalb: Wenn man die kompletten 60 Minuten betrachtet war es ein sehr intensives und auch attraktives Spiel, von beiden Seiten mit viel Engagement geführt. Bis zehn Minuten in die zweite Halbzeit hinein war es auch ein ausgeglichenes Spiel, in dem beide Mannschaften die Chance hatten die Punkte mitzunehmen. Ich habe mich darüber gefreut, dass wir uns in den entscheidenden Situationen in der Abwehr steigern konnten. Dass wir es über diese gute Abwehrarbeit geschafft haben, auch die Sicherheit im Ballbesitz zu bekommen. Die daraus folgenden Tore aus den Gegenstößen und der ersten Welle haben zu einem Vorsprung geführt, der sehr zur Beruhigung beigetragen hat. So konnten wir in der entscheidenden Phase die wichtigen Aktionen für uns verbuchen. Und deshalb meine ich, dass der Sieg für uns auch verdient war.
Ryan Zinglersen: Erstmal gratuliere ich dem HSV zum Sieg. Wir haben mit Emotionen 40 Minuten lang sehr gut gespielt. Dann haben wir in der Phase etwa beim 21:23 sehr viele persönliche technische Fehler gemacht. Teilweise von der Hamburger Abwehr verursacht, aber teilweise auch durch unsere eigenen konditionellen Probleme. Fakt ist, dass wir dann das Spiel durch fünf Gegentore hintereinander verloren haben. Ich bin trotzdem ganz zufrieden mit der Einstellung meiner Mannschaft. Dass wir 40 Minuten gut gespielt haben bringt uns leider keine Punkte. Aber wir können auf diese Leistung aufbauen. Das kollektive Spiel und das Verständnis untereinander waren gut. Ich glaube, dass Hamburg in dieser Saison den Titel gewinnen wird.
Quelle: www.toyota-handball-bundesliga.de