Was für ein Krimi! “Sechzig Minuten Vollgas”, analog des Clubslogans der MT Melsungen, sahen 4.300 Zuschauer in der ausverkauften Kasseler Rothenbach-Halle beim 28:28 (13:16) gegen die Füchse Berlin. Auch wenn es am Ende keinen Sieger gab, verloren hatte auch niemand. Nicht Berlin, deren vermeintlicher Knockout um Sekundenbruchteile zu spät im Netz einschlug, noch die MT nach einem Spiel mit Punktgewinn ohne eigene Führung – es war wohl das richtige Ergebnis für eine Partie dieser enormen Intensität. Bester Schütze der Begegnung war Michael Müller (7 Tore), für die Gäste traf Hans Lindberg genauso oft, davon viermal vom Siebenmeterstrich.
Mit Timm Schneider als Spielmacher und Philipp Müller im linken Rückraum gingen die Hausherren die Aufgabe an, waren aber zu Beginn nicht wirklich durchschlagskräftig gegen eine äußerst bewegliche, offensive, wie auch aggressive Berliner Deckung. Fehlwurf Müller, technischer Fehler, Fehlabspiel – drei Ballverluste, gnadenlos bestraft mit drei Berliner Treffern. Es waren noch keine fünf Minuten gespielt, da hatte Trainer Michael Roth schon die Grüne Karte zur ersten Auszeit gelegt.
Erst nach diesem neuerlichen Weckruf kam mehr Schwung ins Spiel. Schneider setzte sich erstmals zum 1:3 durch, der für Müller gekommene Momir Rnic traf zum 2:4. Mit Verspätung nahm auch die MT am Spiel teil. Wie emotionsgeladen es auf dem Feld zuging, zeigte das Duell Silvio Heinevetter gegen Johannes Sellin. Erst parierte der Füchse-Keeper prächtig und schrie den am Boden liegenden Sellin in der ihm eigenen Manier lauthals an, keine 90 Sekunden später revanchierte sich Melsungens Rechtsaußen mit dem 3:5, nicht ohne dem Torhüter ebenfalls ein paar warme Worte zukommen zu lassen. Weniger spektakulär Sellins 5:8 in Unterzahl, das er, sofort abdrehend, still für sich genoss und Heinevetter konsterniert stehen ließ (14.).
Vom Anfangsrückstand kamen die Nordhessen zunächst nicht weg, so sehr sie sich auch bemühten. Wenig hilfreich war die nicht immer gleiche Regelauslegung auf beiden Seiten. Bekamen die Gäste für vergleichsweise harmlose Vergehen zuverlässig Siebenmeter oder zumindest Ballbesitz zugesprochen, blieb eine Hand in Schneiders Gesicht bis auf einen einfachen Ballbesitz ungeahndet. Auch als wenig später Steffen Fäth Michael Müller rüde von den Beinen holte, hielt sich die Bestrafung mit „nur“ zwei Minuten in Grenzen. Was den MT-Kapitän so aufstachelte, dass er mit drei Treffern in Folge für den Anschluss sorgte (12:13, 25.).
Und es blieb hitzig auf dem Feld. Erst sorgte Johannes Golla per Tempogegenstoß für den viel bejubelten Ausgleich, dann schickten die Referees mit Golla und Philipp Müller innerhalb weniger Sekunden gleich zwei Melsunger runter. Mit der Folge, dass Hans Lindberg seinen vierten Siebenmeter verwandeln durfte sowie Drasko Nenadic und zeitgleich mit dem Pausenpfiff Fabian Wiede die Hauptstädter wieder mit drei nach vorn bringen konnten.
Personell verändert ging es nach dem Seitenwechsel weiter. Dener Jaanimaa und Nenad Vuckovic verstärkten die Deckung, Jeffrey Boomhouwer ersetzte den glücklosen Michael Allendorf auf Linksaußen und verwandelte gleich seinen ersten Versuch zum 15:17, dem Golla mit dem nächsten schnellen Gegenstoß den Anschluss folgen ließ (34.). Doch wie schon im ersten Durchgang hielten die Berliner den Vorteil, wenngleich die MT kämpferisch voll überzeugte und dem Champions League-Aspiranten in jeder Beziehung Paroli bot.
War es zu Beginn des zweiten Durchgangs Momir Rnic, der sich kraftvoll durchsetzte, spielte sich in der Folge Johannes Golla immer mehr in den Vordergrund. Dreimal klasse durchgesetzt am Kreis, einmal dabei getroffen und zwei Siebenmeter geholt. Weil Sellin einmal am ganz starken Silvio Heinevetter scheiterte, hatten die Füchse nach Kent Robin Tönnesens Treffer zum 19:22 wieder drei vor (43.).
Im Angriff machten es sich die Rot-Weißen dann aber doch kurzzeitig selbst schwer. Zwei, drei kleine Unkonzentriertheiten, sowie einmal mehr ausbleibende Pfiffe bei Regelwidrigkeiten der Gäste, nutzte Berlin routiniert und eiskalt – Fabian Wiede erhöhte auf 22:26 (49.). Ehe sich Melsungen abermals fing und zurückschlug. Ganz stark unterstützt von Johan Sjöstrand im Tor, nach dessen elfter Parade im zweiten Durchgang Johannes Sellin den langen Pass des Schweden artistisch fing und im Tiefflug zum 26:26 versenkte. Alles war wieder offen (53.).
Die Schlussphase war wirklich nichts für schwache Nerven. Berlin legte mit Glück im Nachwurf durch Kresimir Kozina wieder einen vor, Michael Müller wurde auf der Gegenseite im Wurf behindert, der Pfiff blieb aus. Golla erkämpfte sich den Ball in der Abwehr zurück, Sellin scheiterte an Heinevetter und dem Pfosten, dafür setzte Boomhouwer den Abpraller trotz Behinderung hinter seinem Rücken am tobenden Heinevetter vorbei ins Netz – 28:28. Mit etwas mehr als einer Minute auf der Uhr Berlin mit der Chance, doch Sjöstrand rettet. Johannes Golla auf dem Weg zur Führung, wieder an den Pfosten. Und dann 20 Sekunden vor Schluss eigentlich erneuter Ballgewinn in der Abwehr, doch da lag angeblich schon die Grüne Karte der Berliner.
Keine Steigerung mehr möglich? Doch! Sjöstrand hält, passt nach vorn auf Sellin, doch Heinevetter boxt den Ball ins Seitenaus. Boomhouwer reagiert schnell, wird aber in der Ausführung des Einwurfs von einem Berliner regelwidrig behindert. Er passt deshalb erst bei 59:59 Minuten auf Sellin, doch dessen im Netz einschlagender Ball kam nach Ansicht von Schiedsrichtern und Kampfgericht um Sekundenbruchteile zu spät – das Ende eines unglaublichen Spiels, in dem die Gastgeber sich zurecht als die moralischen Sieger fühlen durften und am Ende wenn, dann nicht unverdient gewonnen hätten, ohne vorher im Spiel auch nur einmal in Führung gewesen zu sein.
Stimmen zum Spiel
Michael Roth: Ich fand es ein geiles Spiel! Weil wir schlecht begonnen haben, und uns der schlechte Start sofort in die Defensive gebracht hat. Auch kurz vor der Pause haben wir nochmal einige Chancen liegen gelassen. In der Halbzeit haben wir Alarm gemacht, uns vorgenommen, viel mehr Emotionen reinzubringen. Johan Sjöstrand hat sich enorm gesteigert, das braucht man. Und aus dem kleinen Helden Johannes Golla hätte zum Schluss ein Volksheld werden können. Michael Müller hat vorbildlich gekämpft und die Mannschaft mitgerissen. Am Ende haben wir einen Punkt geholt, und damit bin ich zufrieden. Jetzt müssen wir schnell umschalten auf Europacup und Saint Raphael am Samstag.
Velimir Petkovic: Das ist heute ein Spiel, zu dem ich so kurz danach einfach gar nichts sagen kann. Gratulation an Michael und seine Mannschaft zum Punktgewinn. Aber es geht so einfach nicht mehr. Von Woche zu Woche, was man so erlebt, ich will das einfach nicht kommentieren.
Axel Geerken: Anhand der Statements erkennt man schon, dass es heute große Emotionen gab. Die Schiedsrichter standen vielfach im Mittelpunkt und ich kann sagen, dass auch wir nicht zufrieden waren. Im Spiel haben wir uns mehrfach zurückgekämpft, was gegen Berlin in dieser Saison nicht selbstverständlich ist. Ich möchte noch sagen, dass wir Einspruch angemeldet haben gegen die letzte Situation mit dem Einwurf. Wir werden anschließend entscheiden, ob wir ihn weiterverfolgen oder nicht.
Volker Zerbe: Zum Spiel möchte ich auch nichts sagen. Außer vielleicht zu unserem letzten Angriff. Da wird Tönnesen umgerissen und es wird weiterlaufen gelassen. So etwas kann ich nicht verstehen.
Statistik
MT Melsungen: Sjöstrand (16 Paraden / 27 Gegentore), Villadsen (bei einem Siebenmeter, 0 P. / 1 G.), Verkic (n. e.); Sellin 5/2, Golla 5, Fahlgren, Danner 1, P. Müller 1, Boomhouwer 2, Rnic 4, Schneider 3, Allendorf, Vuckovic, Jaanimaa, M. Müller 7, Haenen.
Füchse Berlin: Heinevetter (15 P. / 28 G.), Stochl (n. e.); Wiede 5, Elisson 5, Struck, Göjun, P. Nenadic 1, Tönnesen 2, Plaza 3/1, Lindberg 7/4, Fäth, Kozina 2, D. Nenadic 2, Drux 1.
Schiedsrichter: Fabian Baumgart / Sascha Wild (Altenheim / Elgersweier)
Zeitstrafen: 10 – 14 Minuten (P. Müller 11:17 26:02, Golla 25:48, M. Müller 36:18, Schneider 53:33 - Gojun 7:13 13:15, D. Nenadic 20:27, Fäth 22:34 37:29, P. Nenadic 36:18, Plaza 42:43)
Strafwürfe: 3/2 – 5/5 (Sellin scheitert an Heinevetter 41:46)
Zuschauer: 4.300 in der Rothenbach-Halle, Kassel (ausverkauft)
Die nächsten Spiele:
Sa., 22.04.2017, 20:45 Uhr: Saint-Raphaël Var HB (FRA) – MT Melsungen, Palais des Sports
Mi., 26.04.2017, 19:00 Uhr: TSV GWD Minden – MT Melsungen, Kampa-Halle Minden
Sa., 29.04.2017, 20:00 Uhr: MT Melsungen – Saint-Raphaël Var HB (FRA), Rothenbach-Halle Kassel
Quelle: PM MT Melsungen