In der zweiten Hälfte packte die Defensive dann beherzter zu, und auch im Angriff gewann die individuelle Klasse des THW die Oberhand. Bester Schütze war Welthandballer Filip Jicha, der vor dem Spiel wie die Weltmeister Thierry Omeyer und Jerome Fernandez mit stehenden Ovationen gefeiert wurde, mit acht Toren.
Eine tolle Leistung zeigte auch Christian Zeitz, der nach seiner Verletzungspause sein Comeback gab und die Kieler in der zweiten Halbzeit auf die Siegerstraße brachte.
Vor dem Spiel gab es großen Applaus für die erfolgreichen WM-Fahrer: Kim Andersson wurde für den vierten Platz mit Schweden geehrt. Mit stehenden Ovationen begleiteten die 10.250 Fans in der Sparkassen-Arena dann die Weltmeister Thierry Omeyer und Jerome Fernandez sowie den Welthandballer Filip Jicha, der vor dem Spiel auch als "Deutschlands Handballer des Jahres 2010" bekannt gegeben worden war.
Von derartigen Leistungen und Ehrungen angespornt starteten die Kieler wie die sprichwörtliche Feuerwehr in die Partie: Im Deckungsverbund nutzten die Zebras die vielen Fehler der nervös beginnenden Gäste und setzten die HSG-Offensive früh unter Druck. Und im Angriff schlossen die Schwarz-Weißen konzentriert ab: Momir Ilic, Jicha mit seinem 125. Bundesliga-Tor der Saison, zweimal Klein per Tempogegenstoß - nach vier Minuten stand es 4:0 für die Hausherren. Gästecoach Kay Rothenpieler nahm nach exakt 4.08 Minuten die Auszeit und versuchte so, die hektischen Gemüter seiner Mannen zu beruhigen. Doch es halb zunächst wenig: Jicha und Zeitz, der sich von der linken (!) Rückraumposition im Eins-gegen-Eins durchsetzte, erhöhten auf 6:0. Beinahe sieben Minuten dauerte es, bis die Gäste durch Pomeranz ihren ersten Treffer erzielen konnten - dafür gab es Sonderapplaus von den Rängen, während die lautstarken, wenigen mitgereisten HSG-Fans ein Banner mit der Aufschrift "Auswärtssieg" entrollten. Zu diesem Zeitpunkt entlockte das den Kieler Fans nur ein müdes Schmunzeln.
Doch mit der THW-Anfangseuphorie war es Mitte der ersten Hälfte vorbei: Im Angriff wurden nun viele Chancen fahrlässig nicht genutzt, vor allem der junge Tobias Reichmann schien ein Abo am Fahrkartenschalter gebucht zu haben: Fünf Mal tauchte er frei vor dem guten Tomas Mrkva im HSG-Tor auf, fünf Mal behielt der Keeper, der nach dem kurzfristigen Transfer von Stammtorhüter Martin Ziemer erstmals von Beginn an ran musste, die Oberhand. Doch auch Reichmanns Nebenleute hatte nicht ordentlich am Zielwasser-Glas genippt: Zum Teil unvorbereitete Würfe landeten in der Deckung, und Mrkva konnte sich zum Zebra-Schreck aufschwingen. In der Deckung hatten die THW-Jungs längst die Samthandschuhe ausgepackt. Nahezu ohne Gegenwehr konnten Chen Pomeranz und Einar Holmgeirsson aus acht Metern den Ball an Omeyer vorbei ins Tor dreschen.
Selbst eine doppelte Überzahl brachte die Sicherheit nicht ins Kieler Spiel zurück: Holmgeirsson konnte selbst in dieser Phase zum 8:10 (21.) treffen. Als dann aber die gesamte HSG-Abwehr dem Welthandballer Spalier stand, schien der THW nach Jichas 12:9 (25.) wieder auf einem guten Weg - doch weit gefehlt. Es folgten vier Minuten Kieler Deckungs-Tiefschlaf, den der Aufsteiger konsequent nutzte: Pomeranz, Holmgeirsson, Lammers und Simon schafften nicht nur den Ausgleich, sondern brachten die HSG sogar mit 14:12 (29.) in Führung - und auf einmal lachte niemand mehr über die "Auswärtssieg"-Rufe der westfälischen Fans. Gut nur, dass der auch in der ersten Halbzeit gute Zeitz von Außen noch vor der Pause den 13:14-Anschluss herstellen konnte.
In der Halbzeitpause schien THW-Coach Alfred Gislason die richtigen Worte in der richtigen Lautstärke gefunden zu haben. Vor allem aber stellte der Kieler Erfolgstrainer die Abwehr um: Geburtstagskind Kubes musste einer 3-2-1-Formation weichen, die den in der ersten Halbzeit so erfolgreichen Ahlen-Hammer Rückraum einengen sollte. Doch auch nach Ilic' Siebenmeter-Erfolg zum Ausgleich lief es noch nicht rund. Beim folgenden Tempogegenstoß hielt Mrkva den Wurf von Ilic einfach fest, was Andreas Simon mit der erneuten Gäste-Führung bestrafte. Es sollte die letzte gewesen sein. Denn fortan nahm - endlich - der THW das Ruder in die Hand. Hinter der offensiven und auch wesentlich aggressiveren Deckung zeichnete sich nun auch Omeyer aus, dann war es Zeitz, der die Weichen endgültig auf Sieg stellte: Erst verwandelte er einen Angriff nach Schneller Mitte mit einem frechen Dreher zum Ausgleich, dann klaute er sich in der Abwehr den Ball und schickte Jicha auf die Reise, der ebenfalls per Dreher vollendete. Dann ballerte sich Ilic seinen Tempogegenstoß-Frust mit dem 19:16 von der Seele, ehe Zeitz einen erneuten Konter zum 20:16 abschloss. Dass dabei Mark Schmetz wie von Sinnen mit viel Anlauf dem nach vorne stürmenden Zeitz brutal in die Parade fuhr, ahndete das nicht immer sicher wirkende Schiedsrichtergespann nur mit zwei Minuten - eine Rote Karte wäre in diesem Fall bei konsequenter Regelauslegung zum Schutz des Angreifers mehr als vertretbar gewesen.
Doch die zum Teil hart an der Grenze des Erlaubten spielenden Gäste schwächten sich durch die vielen Zeitstrafen selbst - der THW nutzte dies. Als Jicha das 24:17 (47.) erzielte, warf Rothenpieler die grüne Auszeit-Karte auf den Zeitnehmertisch. Er wollte den Zebra-Express stoppen, doch dieses Mal blieb der Erfolg aus. Palmarsson feuerte ein Geschoss ab. Den größten Jubel des Abends erntete dann aber der jüngste in der THW-Mannschaft: Nach 49 Minuten beendete Reichmann seine partielle "Tor-Allergie", was nicht nur die Fans, sondern auch die Mitspieler jubeln ließ. Spät, aber nicht zu spät, lösten diese nun alle Handbremsen, Palmarsson mit einem dynamischen Durchstoßen, Jicha aus elf Metern, und Ahlm nach einem Zeitz-Traumpass und Henrik Lundström, der einen exakt getimten Pass des inwzischen im Tor stehenden Palicka verwertete, und nochmal Ahlm schraubten fünf Minuten vor dem Ende den Vorsprung erstmals auf elf Tore - eine Differenz, die dank weiterer feiner Tore bis zum Schlusspfiff Bestand hatte.
Doch trotz des Auftakt-Erfolges wartet noch viel Arbeit auf die Zebras. Die nächste Aufgabe in der TOYOTA Handball-Bundesliga ist eine ganz schwere: Am kommenden Sonntag kommt es in der Sparkassen-Arena zum Duell gegen den Tabellenzweiten Füchse Berlin.
Stimmen zum Spiel:
THW-Trainer Alfred Gislason: Das erste Spiel direkt nach einer langen Pause ist immer schwierig. Im letzten Jahr hatten wir dort dieses Spiel im Pokal beim VfL Gummersbach - und wie das ausging, wissen wir noch alle. Daher hab ich auch geahnt, dass es heute sehr schwer werden würde. Wir haben überraschend gut angefangen und 6:0 geführt. Aber dann haben wir 20 Minuten lang so gespielt, wie wir gestern im Training waren, wo fast gar nichts zusammenlief und ich sehr unzufrieden war. Aber man muss auch sagen, dass Einar Holmgeirsson in dieser Phase fünf schnelle Tore machte, auch Pomeranz legte zu. Ahlen hatte gut gespielt, aber wir fühlten uns wahrscheinlich zu sicher nach dieser hohen Führung am Anfang. Wir scheiterten auch - ich schätze mal - achtmal freistehend am Torhüter, deshalb lagen wir zur Halbzeit völlig berechtigt zurück.
Mit der zweiten Halbzeit bin ich eigentlich recht zufrieden. Die 3:2:1-Abwehr, die wir in letzter Zeit mit den Leuten, die da waren, trainiert hatten, hat super funktioniert. Wir konnten etwas zumachen und die leichten Würfe von Holmgeirsson und Pomeranz in den Griff bekommen. Auch vorne lief der Ball besser, wir haben etwas konzentrierter, etwas disziplinierter gespielt. Deswegen haben wir das Spiel auch drehen können.
[auf die Frage, wie die Halbzeitansprache ausfiel:] Es wurde nicht lauter als sonst. Es wurde angesprochen, was wir falsch gemacht haben und wie wir es unbedingt besser machen müssen. Wir alle wissen, dass jedes Spiel bis zum Saisonende ein Endspiel für uns ist. Natürlich war ich unwahrscheinlich unzufrieden mit unserer Abwehr und den letzten 20 Minuten der ersten Halbzeit. Das war dann auch einfach eine Gelegenheit für uns, auf die 3:2:1-Abwehr umzustellen. Die spielen wir nicht so oft, aber wir brauchen sie unbedingt.
HSG-Trainer Kay Rothenpieler: Ich bin nicht ganz unzufrieden. Wir haben in der ersten Halbzeit für unsere Verhältnisse recht ordentlich gespielt. Wir wollten den THW ein bisschen ärgern. Die ersten Minuten hatten wir noch zu viel Respekt, danach haben wir uns stabilisieren können. Der THW kam noch nicht so richtig in Fahrt, das konnten wir natürlich in der ein oder anderen Situation ausnutzen. Mir hat sehr gut gefallen, dass Tomas Mrkva, der heute erstmalig als erster Mann angefangen hatte, eine gute erste Halbzeit gespielt hat. Auch Einar Holmgeirsson, den wir dann auf Rückraum rechts gebracht haben, hat von der Position auch sehr schöne Tore gemacht. Von daher bin ich heute sehr zufrieden.
Dass irgendwann in der zweiten Halbzeit der THW Kiel den Schalter umlegt und noch mal Gas gibt, war uns klar. Man merkt, dass es einfach eine Spitzenmannschaft ist. Sie haben die Abwehr umgestellt, waren einfach aggressiver und entschlossener. Dann passiert es halt, dass man hier auch in dieser Höhe verdient verliert.
Wir haben jetzt am Mittwoch wieder ein schweres Spiel bei den Rhein-Neckar Löwen. Das sind alles Mannschaften, mit denen wir uns nicht messen müssen. Dann hoffe ich, wenn alles gut läuft, dass wir den VfL Gummersbach zu Hause ärgern können, um da vielleicht eine kleine Überraschung zu schaffen.
Quelle: http://www.toyota-handball-bundesliga.de