Konstanz gegen Wilhelmshaven, das scheint eine Garantie für 60 prickelnde Handballminuten und ein irres Wechselbad der Gefühle zu sein. Wie schon im Hinspiel legte die HSG einen Blitzstart hin, führte schnell mit 10:5 (14.), legte bis auf die allerersten Spielminuten immer vor – und musste dennoch bis zur letzten Sekunde um den eminent wichtigen 34:33 (18:17)-Heimsieg vor 1150 Fans gegen den bislang punkgleichen Kontrahenten von der Nordseeküste bangen. Mit nun 26 Punkten hat sich die HSG Konstanz wieder einen Vier-Punkte-Vorsprung auf die Abstiegszone erarbeitet und kletterte auf Rang elf der 2. Bundesliga.
Auch wenn nach dem Schlusspfiff niemand auf Konstanzer Seite den Erfolg überbewerten wollte, der erste Sieg in der Rückrunde gegen einen direkten Konkurrenten im Abstiegskampf hatte allen sichtlich gut getan und ließ einige Last von den Schultern der durchgeschwitzten Akteure fallen. In den ersten Sekunden nach dem Abpfiff brachen alle Dämme. Da fielen sich Mathias Riedel, Gregor Thomann und Co. wild schreiend und hüpfend in die Arme und herzten sich minutenlang.
Kein bisschen weniger verschwitzt, dafür wie manch ein Konstanzer Verantwortlicher kreidebleich, wurde auf der Tribüne der stimmungsgeladenen „Schänzle-Hölle“ gefeiert. Dieses Spiel, es war auch beileibe nichts für schwache Nerven. 40 Sekunden waren noch auf der Uhr, als ein unglaublich intensiver Kampf schließlich in der entscheidenden Situation gipfelte. 33:33 zeigten die Anzeigetafeln in einem torreichen, insbesondere von den Konstanzern mit wahnsinnig hohem Tempo geführten offenen Schlagabtausch an.
Gregor Thomann schritt, nachdem Paul Kaletsch wieder mächtig Dampf gemacht hatte und nur durch ein Foul gestoppt werden konnte, zur Siebenmetermarke. Sein dritter Versuch an diesem Tag. Alles oder nichts. Gefeierter Siegtorschütze oder der, der die Niederlage an den Händen kleben hat? „Klar, es wäre gelogen, wenn ich abstreiten würde, dass einem in solch einer Situation nicht genau diese Gedanken kurz durch den Kopf gehen“, gestand der nach überragender Leistung lächelnde Rechtsaußen. Mister 100 Prozent behielt aber selbst hier die Nerven, hielt dem Druck stand und verwandelte unter ohrenbetäubendem Lärm zum 34:33 – sein insgesamt zwölfter Treffer an diesem Tag.
Doch den erfahrenen Handballern vom Jadebusen blieb noch jede Menge Zeit. Konstanz stemmte sich mit aufopferungsvoller Abwehrarbeit dagegen, sodass sich dem WHV keine gute Einschussmöglichkeit ergab. In den letzten Sekunden zog der zuvor ganz starke Tobias Schwolow wieder einmal aus dem Rückraum ab, doch Chris Berchtenbreiter blockte den Wurf. Dann der letzte Versuch: Lukas Mertens versuchte von außen den Kempa-Trick in die Mitte – doch er misslang. Jubel, Ekstase bei den Gastgebern, völlig enttäuschte Gäste, die wie schon in der Hinrunde mit einem Tor denkbar knapp das Nachsehen hatten.
Gewohnt kalt wie eine Hundeschnauze sagte der Schweizer Tim Jud nach einem wahren Krimi ganz gelassen: „Ich hatte in der ersten Halbzeit nie das Gefühl, dass wir das Spiel verlieren können. Auch in der zweiten habe ich immer daran geglaubt, dass wir das schaffen.“ Mitverantwortlich für das gute Gefühl des ehemaligen Junioren-Nationalspielers war ein guter Start der Gelb-Blauen vom Bodensee. Nur zweimal im ganzen Spiel ging Wilhelmshaven in Führung: beim 0:1 und 1:2. Danach schlugen die Einheimischen ein Höllentempo an und drehten auch ohne Simon Flockerzie sowie fünf Langzeitverletzte mächtig auf. Über 5:2 (7.) hieß es nach 14 Minuten so schon 10:5. Der überragende Mann auf dem Platz: Mathias Riedel. Ganze elf Mal versenkte der Dreh- und Angelpunkt im HSG-Trikot den Ball im Tor der Niedersachsen – bei nur 13 Versuchen. Eine sagenhafte Quote aus dem Rückraum und dazu kamen seine genialen Pässe zu seinen Mitspielern sowie eine beeindruckende Leistung im Innenblock der Konstanzer Deckung.
Etwas ärgerlich aus Sicht der HSG waren schließlich die letzten Minuten vor dem Seitenwechsel verlaufen. Statt nach dem 14:9, 17:13 oder auch noch 18:15 kurz vor der Pause mit einem kleinen Polster in die zweite Hälfte zu gehen, bestrafte Wilhelmshaven einige Unachtsamkeiten und technische Fehler der Bodensee-Handballer gnadenlos. Somit stand es nur 18:17 nach den ersten dreißig Minuten. „Wir sind ganz gut in das Spiel gekommen, das hat es uns sicher erleichtert“, erklärte Tim Jud zum geglückten Start, stellte aber auch klar: „Wir sind in der Abwehr eigentlich ganz gut gestanden, haben uns aber viele dumme Gegentore eingefangen, sodass es am Ende 33 an der Zahl sind. Das ist eigentlich zu viel. Aber wir haben gemerkt: Das Feuer ist da, jeden hat für jeden toll gekämpft.“
Nach 38 Minuten konnte Wilhelmshaven durch die gestiegene Fehlerquote der Südbadener somit erstmals wieder zum 22:22 ausgleichen. Ein Doppelschlag von Gregor Thomann und die Nerven der Konstanzer Fans, die schon zur Halbzeit mit lauten „Schieber, Schieber“-Rufen ihren Unmut über einige umstrittene Schiedsrichterentscheidungen äußerten, wurden mit dem 26:23 (45.) wieder etwas beruhigt. Allerdings nur kurz, denn die letzten zehn Minuten waren nach dem Ausgleich der Gäste (27:27/52.) an Spannung nicht zu überbieten. Konstanz legte vor, Wilhelmshaven zog stets nur wenige Sekunden später nach und glich immer wieder aus. Bis der nicht aufzuhaltende Mathias Riedel in der Crunchtime das Heft in die Hand nahm und mit vier Treffern in den letzten acht Minuten einen Wurf nach dem anderen in das Gästetor hämmerte.
Schließlich kam Thomann, nahm Maß und verwandelte die „Schänzle-Hölle“ wieder in ein Tollhaus, nachdem auch die letzten Sekunden überstanden waren. „Das tut, gerade nach dem letzten Wochenende in Saarlouis, sehr gut“, unterstrich Tim Jud. „Das ist für die Moral nach der letzten Niederlage sehr wichtig und gibt uns neuen Auftrieb für die schwere Aufgabe in Aue am Freitag. Super, wie wir heute wieder von unserem großartigen Publikum getragen wurden, das ist ein ganz wichtiger Faktor und hilft uns sehr. Das Feuer hat von Beginn an auf dem Spielfeld und auf der Tribüne gebrodelt.“
HSG Konstanz – Wilhelmshavener HV 34:33 (18:17)
HSG Konstanz: Konstantin Poltrum (12 Paraden), Patrick Glatt (1 Parade) (Tor); Fabian Schlaich (1), Gregor Thomann (12/3), Mathias Riedel (11), Matthias Stocker (4), Michael Oehler, Paul Kaletsch (4), Felix Gäßler, Tim Jud (1), Samuel Wendel, Chris Berchtenbreiter (1).
Trainer: Daniel Eblen
Wilhelmshavener HV: Markus Bokesch (9 Paraden), Adam Weiner (1 Parade), Frederick Lüpke (Tor); Sebastian Maas, Lukas Kalafut (1), Kay Smits (9/5), Duncan Postel (1), Evgeny Vorontsov (5), Steffen Köhler (3), Lukas Mertens (8), Janik Köhler, Jonas Schweigart, Matey Kozul, Tobias Schwolow (6).
Trainer: Christian Köhrmann
Zuschauer: 1150.
Schiedsrichter: Dauben/Rohmer
Strafminuten (min): 10 Min. (Kaletsch (23.), Berchtenbreiter (25.), Stocker (45.), Jud (51.), Oehler (57.) – 6 Min. (Steffen Köhler (26.), Kozul (41.), Postel (41.))
Siebenmeter (T/V): 3/3 – 5/5
Quelle: PM HSG Konstanz