Seine Art zu arbeiten beschreibt er selbst gerne als „modern autoritär“. Er kommuniziere viel mit seinen Spielern, könne Kumpel sein, aber auch hart durchgreifen, wenn es nötig ist! Die Rede ist von Michael Roth, der ab der kommenden Saison Coach des Handball-Bundesligisten HSG Wetzlar ist. Für den gebürtigen Heidelberger ist es nach langjährigen Engagements bei der SG Kronau-Östringen und dem TV Großwallstadt die dritte Trainerstation. Roth, der neben dem Handball auch eine Medienagentur leitet, bittet seine neue Mannschaft am kommenden Montag, den 20. Juli 2009 zum Trainingsauftakt in die Dutenhofener Sporthalle. Vor der ersten Übungseinheit haben wir mit dem 47jährige über seine Ziele mit der HSG Wetzlar, die anstehende Vorbereitung und seine überstandene Krebserkrankung gesprochen.
Genau sechs Wochen hat die Sommerpause bei der HSG Wetzlar gedauert. Bis auf wenige Spieler, die bei der Nationalmannschaft waren, hatten alle Zeit zu regenerieren. Bleibt einem Trainer denn auch genügend Zeit, um mal abzuschalten
oder plant man schon viel für die neue Vorbereitung bzw. Saison?
Michael Roth: „Die Sommerpause ist für alle wichtig: Spieler, Trainer, Verantwortliche und Fans! Nur so können sich Körper und Geist regenerieren und man sich dann wieder richtig darauf freuen, dass es wieder los geht! Den Spielern ist die freie Zeit gegönnt. Wir Verantwortlichen müssen im Sommer allerdings jede Menge Organisationsarbeit leisten. Es stehen Spielerverpflichtungen an, Gespräche mit Co-Trainern und Physiotherapeuten, zudem muss der Trainingsplan ausgearbeitet und die Hallenbelegung koordiniert werden. Also, es gibt genug zu tun und man hat eigentlich nie richtig Pause! Trotzdem hatte auch ich Zeit, um mit meiner Familie und ein paar guten Freunden in den Urlaub zu fahren! Jetzt kann ich sagen: ich bin voll motiviert und habe wieder richtig Lust auf Handball! Ich freue mich auf meine neue Aufgabe in Wetzlar und diese junge, engagierte Mannschaft.“
Ganz unvorbereitet gehen die Spieler ja nicht in den Trainingsauftakt. Sie haben, gemeinsam mit Ihren Co-Trainern Jochen Beppler und Mile Malesevic, jedem Akteur „Hausaufgaben“ mit in die Ferien gegeben!
Michael Roth: „Ja, zusammen mit Herrn Prof. Moohren von der Uni Gießen haben wir bereits Ende der abgelaufenen Saison einen Laktat-Test durchgeführt. Auf Basis der jeweiligen Ergebnisse hat dann jeder Spieler einen individuellen Laufplan für die Sommerpause bekommen. Heißt: die Spieler sollten mehrfach pro Woche bestimmte Strecken mit einem bestimmten Puls laufen. Wer das gemacht hat, der wird zu Beginn der Vorbereitung keine konditionellen Probleme bekommen. Diese Art des Sommerprogramms habe ich auch schon meinen Spielern in Großwallstadt verordnet und bin damit immer gut gefahren.“
Sie sagen „Fitness ist die Basis für alles im (Handball-)Sport“ - was bedeutet das vor allem für die ersten Wochen der Vorbereitung?
Michael Roth: „Desto besser ein Spieler trainiert ist, desto weniger verletzungsanfällig ist er, denn er kann sich im Training oder Spiel länger konzentrieren. Oft entstehen Verletzungen oder Fehler nur, weil der jeweilige Spieler kaputt ist. Deshalb werden wir sehr viel im Fitness und Kraftbereich arbeiten. Für mich ist es wichtiger, dass einer meiner Jungs in der 60. Minuten das 30:29 werfen kann, als das 1:0 kurz nach dem Anpfiff. Das kann fast jeder!“
Danach folgen insgesamt 18 Freundschaftsspiele bis zum Beginn der Saison Anfang September. Eine stattliche Anzahl an Testspielen, dabei müsste man doch eigentlich denken, dass sich die Mannschaft bei nur einem Neuzugang kaum einspielen muss?
Michael Roth: „Wir wollen diese Testspiele nutzen, um viel auszuprobieren. Einige taktische und spielerische Dinge werden sich unter meiner Führung ganz sicher ändern. Das ist normal. Vor allem sind aber die Turniere wichtig für mich, denn die sind Konditions- und Kopfsache. Dabei wird der Sparkassen-Cup in Rotenburg sicherlich das Highlight sein. Durch die Qualität der Gegner und das zeitgleiche Trainingslager wird eine hohe Belastung erzeugt. Da heißt es für jeden Spieler sich zu beweisen und zu zeigen, dass er in die Anfangsformation gehört. Wir haben einen großen Kader, in dem jeder seine Chance und seine Pausen bekommt. Ziel ist es, aus einer massiven Abwehr ein attraktives und erfolgreiches Tempospiel aufzuziehen.“
Im vergangenen Jahr hatte die HSG Wetzlar doch enormes Verletzungspech. Zahlreiche Spieler sind bis zum Saisonende ausgefallen, wie z.B. Sven-Sören Christophersen, Avishay Smoler, Timm Schneider, Sebastian Weber, Alois Mraz oder Nikolai Weber. Werden sie denn zum Trainingsauftakt wieder fit sein?
Michael Roth: „Verletzungen sind immer so eine Sache. Oftmals ist es einfach Pech, manchmal aber auch Resultat einer zu hohen oder auch zu niedrigen Belastung. Wir werden auch während der Saison viel mit der Uni Gießen zusammenarbeiten, um das Training und die Regeneration entsprechend zu dosieren. So wie es derzeit aussieht werden Smöre Christophersen, Timm Schneider, Sebastian Weber und Alois Mraz am kommenden Montag wieder ins Training einsteigen können. Es wird allerdings eine Kombination aus Mannschaftstraining und Reha-Maßnahmen sein. Läuft alles gut, können wir ab Anfang August auch wieder auf Nikolai Weber und zum Ende der Vorbereitung auch wieder auf Avishay Smoler zählen. Das wäre natürlich optimal.“
Was sind Ihre persönlichen Erwartungen und Zielen an bzw. mit Ihrer neuen Mannschaft für die Vorbereitung und dann natürlich auch die Saison?
Michael Roth: „Um mich zu sportlichen Erwartungen zu äußern ist es noch etwas zu früh. Das kann man zum Ende der Vorbereitung tun. Klar ist nur: wir wollen die Mannschaft weiterentwickeln und in der Tabelle einen Schritt nach oben machen. Das heißt uns von anderen Teams sportlich absetzen. Auf dem Spielfeld wollen wir 60 Minuten erfolgreichen und attraktiven Handball spielen. Das erwarten unsere tollen Fans von uns und das wollen wir Ihnen auch bieten! Doch dafür müssen wir in den kommenden Wochen die Grundlage legen – taktisch, technisch und körperlich!“
Vergangenes Jahr hat die HSG Wetzlar in der Deckung doch vornehmlich mit einer offensiveren Deckungsvariante agiert, wird es da, auch nach der Verpflichtung von Daniel Valo eine Änderung zur 6:0-Abwehr geben?
Michael Roth: „Im modernen Handball sollte man sich nicht nur auf eine Abwehrvariante verlassen. Eine gute Mannschaft muss mindestens zwei, wenn nicht sogar drei Systeme beherrschen, denn jedes Spiel läuft anders. Wir werden sicherlich darauf hinarbeiten, dass unsere 6:0-Abwehr künftig noch massiver steht und es die Torhüter leichter haben Bälle zu fischen. Aber auch eine aggressive 5:1-Abwehr kann ihre Vorzüge haben. Vor allem zu Hause, wo wir in der kommenden Saison versuchen wollen möglichst viele Teams zu ärgern!“
Viele Konkurrenten aus dem unteren Tabellendrittel der Bundesliga waren in der Sommerpause auf dem Transfermarkt sehr aktiv. Wetzlar hat nur einen neuen Spieler geholt, bei vier Abgängen. Warum?
Michael Roth: „Es spricht doch eigentlich für einen Verein und eine Mannschaft, wenn man nicht so viel verändern muss. In Wetzlar wurde zuletzt gerne von Kontinuität gesprochen, mittlerweile wird sie auch gelebt. Das war nicht immer so. Nur einen neuen Spieler in ein stabiles Mannschaftsgefüge integrieren zu müssen ist von Vorteil. Wir mussten auf der halbrechten Rückraumposition agieren und haben uns deshalb, mit Blick auf die finanziellen Mittel, auch dafür entschieden einen Mann wie Chen Pomeranz gehen zu lassen. Ich ziehe meinen Hut vor Aufsichtsrat und Geschäftsführung, dass sie alle Anstrengungen unternommen haben, um nicht nur begehrte Spieler wie Christophersen oder Salzer zu halten sondern auch Daniel Valo zu verpflichten!“
Mit Düsseldorf und Nettelstedt steigen zwei ambitionierte Teams ins Handball-Oberhaus auf. Dazu kommt noch Hannover-Burgdorf als Überraschungsaufsteiger. Sind die Neulinge in diesem Jahr noch eine Klasse stärker als in den vergangenen Jahren und wird die Liga dadurch eventuell wieder spannender?
Ich denke nicht, dass Düsseldorf, Hannover-Burgdorf oder Nettelstedt stärker sind als beispielsweise Dormagen in der abgelaufenen Saison. Alle Teams, die aus der 2. Liga aufsteigen müssen erst einmal wieder lernen mit Niederlagen umzugehen. Sie haben ein Jahr oder länger fast nur gewonnen und jetzt wird es sicherlich auch die eine oder andere Klatsche geben. Deshalb haben es die Aufsteiger meistens schwer sich zu etablieren, was aber nicht heißt, dass sie es nicht schaffen können. Wir schauen jedoch auf uns und werden uns auch in dieser Spielzeit wieder als echte Einheit auf und neben dem Feld präsentieren. Das war und ist eine der großen Stärken der HSG Wetzlar!“
Vor einigen Wochen hat uns alle die Nachricht überrascht, dass Sie Prostatakrebs haben bzw. hatten! Glücklicherweise konnte die Krankheit frühzeitig erkannt und somit besiegt werden. Jetzt gehen Sie in die Offensive, um anderen Männern zu verdeutlichen, wie wichtig solche Vorsorge-Untersuchungen sind. Heute erschien ein bundesweiter Artikel in der BILD-Zeitung. Zudem sind Sie am
Abend in der ZDF-Fernsehsendung „Marcus Lanz“ zu Gast!
Michael Roth: „Sagen wir es mal so: ich habe Glück im Unglück gehabt, weil ich seit Jahren die entsprechende Krebsvorsorge betreibe. Deshalb konnte der Prostatakrebs frühzeitig erkannt und das Übel entfernt werden. Ich bin die Erkrankung sehr kämpferisch angegangen, wie auch mein Zwillingsbruder Uli, bei dem jetzt das gleiche diagnostiziert wurde. Wären wir damals zusammen zum Arzt gegangen, dann hätten wir wahrscheinlich am gleichen Tag die gleiche Diagnose bekommen! Wir hatten allerdings nie vor damit an die Öffentlichkeit zu gehen, nun ist es eben passiert, was vielleicht aber gar nicht schlecht ist – denn umso offener man mit der Erkrankung umgeht desto einfacher kann man sie verarbeiten. Deshalb werden wir jetzt gemeinsam ins Fernsehen gehen und die Männer zu Hause auffordern, sich diesem Tabu-Thema zu stellen. Es ist wichtig sich regelmäßig untersuchen zu lassen, denn je länger der Krebs sich ausbreiten kann, desto weniger Chancen hat man gegen die tödliche Krankheit. Wir werden auch ein Buch schreiben, um Aufklärung zu betreiben, denn wir haben bei den Jungs in unserem Freundeskreis bemerkt, dass sich alle schwer mit diesem Thema tun, aber wenn man lange leben möchte, dann ist die Krebsvorsorge unumgänglich!“
Quelle: www.toyota-handball-bundesliga.de