Heiko Grimm vor Premiere als Bundesligatrainer

12.04.2018 20:47
Foto: A. Käsler
Von Jetzt auf Gleich, vom Co- zum Cheftrainer: Viel Zeit zum Überlegen blieb Heiko Grimm nicht, als er letzte Woche von Axel Geerken, Vorstand von Handball-Bundesligist MT Melsungen, gefragt wurde, ob er die Nachfolge von Michael Roth antreten wolle. Nun steht Grimm vor seiner Premiere: Am Sonntag betreut er des MT-Team im Hessenderby gegen den TV Hüttenberg (15:00 Uhr, Rothenbach-Halle Kassel, es gibt noch Tickets) erstmals als hauptverantwortlicher Coach. Ins kalte Wasser wird der 40-jährige mit dieser Aufgabe dennoch nicht geworfen. Denn der frühere Großwallstädter Nationalspieler hat vor einem Wechsel zur MT schon vier Jahre lang erfolgreiche den Schweizer Erstligisten HC Kriens Luzern trainiert. Im Interview mit der MT-Redaktion “Kurz vor Anpfiff’ verrät Heiko Grimm, wie er an seine neue Aufgabe herangeht, welche Ziele er mit der Mannschaft hat. – Hintergrund: Michael Roth, der bisherige langjährige Coach des nordhessischen Handball-Bundesligisten, war am vergangenen Freitag freigestellt worden und somit musste dessen Stelle neu besetzt werden. Was waren Deine erste Gedanken, als MT-Vorstand Axel Geerken mit der Frage auf Dich zukam, ob Du Cheftrainer werden möchtest? Heiko Grimm: “Ich war mir anfangs gar nicht sicher, ob das jetzt Realität ist und so brauchte ich schon ein, zwei Tage, um das zu verstehen. Diese Aufgabe anzunehmen, fiel mir hingegen nicht schwer. Schließlich bin ich mit dem Ziel nach Melsungen gekommen, irgendwann hier auch hauptverantwortlicher Trainer zu werden. Dass dies dann aber schon so schnell eintritt, war natürlich nicht vorhersehbar”. Anfang der Woche gab es die erste offizielle Teambesprechung in Deiner Funktion. Was waren die Themen? Heiko Grimm: Diese Besprechung hatte vor allem den Zweck, dass ich mich den Spielern in meiner neuen Rolle näher vorstelle, ihnen meine Einstellung zu bestimmten Dingen und meine Vorgehensweise erkläre. Sie sollen schließlich wissen, mit wem sie es zu tun haben, was Sie erwartet und welche Verhaltensregeln gelten. Das hört sich jetzt vielleicht etwas streng an, aber das ist es nicht. Um bei dem Beispiel Regeln zu bleiben: Regeln sind sinnvoll, weil sie die Zusammenarbeit von Menschen erleichtern und ihnen eine Orientierung geben. Es gibt dadurch einfach weniger Stress. Regeln sind also etwas Positives. Geht’s etwas konkreter? Heiko Grimm: Das beginnt bei solch scheinbar banalen Dingen wie der Kleidungsordnung zu den verschiedenen Trainingsanlässen, geht weiter über den Ablauf von Auswärtsfahrten und reicht hin bis zur Regelung von trainingsfreien Tagen. Die werden künftig übrigens nach einem für jedermann nachvollziehbaren Prinzip gewährt, nämlich ergebnisorientiert. Ich finde es wichtig, auch solche Impulse zu setzen. Denn nur so kommt man von bestimmten Selbstverständlichkeiten weg. Natürlich muss man dann auch konsequent sein und auf die Einhaltung der Regeln achten, ansonsten verwässern sie. Mir ist klar, dass wir dabei einiges verändern oder auch neu einführen. Meine Erfahrung ist, dass es Spielern durchaus gefällt, wenn sie mit neuen Regeln konfrontiert werden. Sie müssen klar formuliert und für sie verständlich sein. Dann geben sie ihnen, wie schon erwähnt, eine Orientierung und damit auch Sicherheit im Verhalten. Du hast wahrscheinlich einen ganzen Koffer voller Ideen. Musst Du dich selber etwas bremsen – auch um die Mannschaft nicht zu überfordern? Heiko Grimm: Ja, das ist tatsächlich so. Es wäre aber ein Fehler, jetzt schnell alles Mögliche umkrempeln zu wollen. Was übrigens auch gar nicht notwendig ist. Denn klar ist, bei der MT funktionieren ja die einzelnen Bereiche hervorragend. Vom Management, über Geschäftsstelle, Marketing, Pressearbeit, physiotherapeutische und ärztliche Betreuung, Mannschaftsbetreuung, Co-Trainer etc. Bei meinem vorhergehenden Verein musste ich mich zusätzlich um Dinge kümmern, die primär nichts mit meiner Aufgabe als Trainer zu tun hatten. Die MT ist da viel professioneller aufgestellt, hier kann ich mich wirklich auf die Trainertätigkeit konzertieren. Auch die Mannschaft funktioniert ja über weite Strecken gut, ist aber noch steigerungsfähig. Dafür müssen wir einiges tun. Wie soll das gelingen? Heiko Grimm: Wie schon gesagt, es funktioniert das meiste auf dem Spielfeld. Wenn neue Ideen einfließen sollen, muss das wohldosiert geschehen, Ich habe mir vorgenommen – je nach verfügbarer Anzahl von Trainingseinheiten und vorgegebener Spielabfolge – in bestimmten zeitlichen Abständen jeweils einen neuen spieltaktischen Gedanken in die Mannschaft hinein zu geben. Sodass anschließend auch genügend Zeit bleibt, den umzusetzen und zu trainieren. Ich will keinesfalls der Mannschaft etwas aufzwängen, was vielleicht gar nicht zu ihr passt oder was die Spieler auch nicht wollen. Ein Trainer sollte deshalb immer auch darauf achten, bei der Umsetzung neuer Ideen, keinen Spieler zu verlieren. Ich habe auch kein Spielsystem im Kopf, was ich dann unter allen Umständen auf die Mannschaft übertragen will. Das orientiere ich an den Spielern, die mir zur Verfügung stehen. Das muss zu ihnen passen und sie müssen davon überzeugt sein. Ich habe ihnen auch gesagt, dass ich dazu ihre Rückmeldungen brauche. Ich bin dahingehend offen und nehme auch die Anregungen aus der Mannschaft auf. Wichtig wird sein, dass wir intensiv zusammenarbeiten. Wenn schon vieles gut läuft, wie sollen dann weitere Verbesserungen erreicht werden? Heiko Grimm: Damit wir uns sportlich weiter entwickeln, ist es notwendig, auf allen Ebenen noch mehr zu investieren, noch fokussierter zu arbeiten. Sollte es also Komfortzonen gegeben haben, müssen wir die möglichst eliminieren. Die Herausforderung für mich als Trainer besteht nun darin, das richtige Maß zu finden und nicht zu überpacen. Auch muss ich etwaige personelle Strömungen in der Mannschaft erkennen und gegebenenfalls gegensteuern. Denn die Gesetzmäßigkeit, nach der eine Mannschaft ihr Ziel erreicht, gilt nach wie vor: Es müssen alle an einem Strang ziehen! Darüberhinaus gibt es aber auch ganz praktische Ansätze. Beispiel Abwehr. Die ist nach meinen Vorstellungen zu passiv. Hier müssen wir dahinkommen, mehr zu agieren, statt bloß zu reagieren. Ideal wäre es, wenn wir durch unsere Abwehrarbeit das Angriffsspiel des Gegners beeinflussen können. Mit mehr Aktivität gewinnen die Spieler auch mehr Sicherheit, die ihnen dann wiederum im Angriff zugute kommt. Besteht die Herausforderung für Dich auch darin, in der Ansprache und in dem, was Du von der Mannschaft einforderst, den Spagat zwischen älteren und jüngeren Spielern zu schaffen? Heiko Grimm: Bei der Trainingssteuerung und auch im Wettkampf muss man neben dem Fitnesszustand und den physischen Gegebenheiten natürlich auch das Alter eines Spielers berücksichtigen. Einem älteren Spieler sollte man nicht nur nach einem Spiel, sondern auch währenddessen Verschnaufpausen ermöglichen. Überhaupt bin ich eher ein Freund davon, im Spiel öfter zu wechseln. Das gilt übrigens auch für jüngere Spieler. Für einen Leistungsträger wie zum Beispiel Julius Kühn kann es durchaus vorteilhaft sein, wenn er mal für einige Minuten auf der Bank regenerieren kann. Wir werden im Training künftig auch individualisieren und unterscheiden, wer zuvor im Spiel welche Anteile und Belastungen hatte und wie er die folgenden Einheiten absolvieren soll. So wird am Tag nach einem Spiel eine Gruppe mit Spielern, die wenige Spielanteile hatten, mit einer höheren Belastung trainieren als die andere Gruppe mit Spielern, die im Spiel stark gefordert waren. Am zweiten Tag wechseln dann die Aufgaben für die beiden Gruppen. Blicken wir auf das bevorstehende Spiel, Deine Premiere als Chefcoach: Ist Dir bewusst, dass am Sonntag wahrscheinlich ganz Handball-Deutschland auf die MT schaut, um zu sehen, wie es im “Spiel 1” nach Roth läuft? Heiko Grimm: Ich muss gestehen, dass ich darüber noch gar nicht nachgedacht habe. Auffällig war aber schon das große Medieninteresse. In den letzten Tagen erreichten mich viele Interviewanfragen, Reporter und Kamerateams waren bei uns im Training zu Gast – ja, ich kann mir schon vorstellen, dass viele jetzt wissen wollen, was die MT unter dem neuen Trainer macht. Die Meldung vom Wechsel auf dieser Position hat letzte Woche ja schon einige Wellen geschlagen. Spürst du deshalb einen besonderen Druck, im ersten Auftritt etwas Besonderes abliefern zu müssen? Heiko Grimm: Nein, auf keinen Fall. Ich werde mir für das Spiel gegen Hüttenberg zumindest taktisch nichts Besonderes ausdenken. Was hätte ich auch davon, wenn Zuschauer und Medien der Meinung sind, dass ich ein paar ganz tolle Ideen hatte, aber die Mannschaft am Ende verliert? Was ich allerdings möchte ist, dass die Leute in der Halle sagen: Das ist jetzt die MT, die wirklich die Power auf die Platte bringt, so will ich sie sehen! Quelle: PM MT Melsungen

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