Für den Juli 2019 freut sich Ingram nun wie sein Kapitän Ian Hüter, der für gewöhnlich das Trikot des TSV Dormagen trägt, auf einen längeren Ausflug zu den kontinentalen Meisterschaften in Lima, Peru. Dort soll das Team nach dem Willen des Vorstandschefs des USA Team Handball, Mike Cavanaugh, mindestens den dritten Platz belegen, um sich die Option für die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2020 in Tokio offen zu halten – wie auch die Frauen, die sich ebenfalls im Playoff gegen Kanada durchsetzten. „Es ist acht Jahre her, dass wir uns für die Pan- Am Games qualifiziert haben“, sagt Cavanaugh, „das ist großartig für die Athleten, die Coaches und USA Team Handball. Wir wollen jetzt ein Signal senden, dass wir die Absicht haben, in Lima auf dem Podium zu stehen.“ Lange Zeit war das, was in den USA passierte, nicht auf dem Radar der Handballszene.
Nun aber, da die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles stattfinden werden, wird ein groß angelegter Versuch gestartet, den Handball auf einem der wichtigsten Sportmärkte der Welt zu etablieren. „Es ist eines der wichtigsten Projekte, den Handball dort in den nächsten Jahren zu entwickeln“, sagt Hassan Moustafa, der Präsident der Internationalen Handball Föderation (IHF). „Es gibt richtig viele Ideen und Konzepte von Leuten, die darüber nachdenken“, sagt Gerd Butzeck, der Geschäftsführer des Forum Club Handball (FCH), welches die neue Initiative ebenfalls unterstützt. Wie wertvoll es wäre, Handball in den USA zu popularisieren, liegt auf der Hand. Um die Sportart nachhaltig weiter zu ökonomisieren und den olympischen Status nicht zu gefährden, ist eine weitere Globalisierung dringend nötig. In Kernmärkten wie den USA, China oder Indien, die mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung stellen, spielt der Handball bislang nur eine marginale Rolle. Das ist freilich keine ganz neue Erkenntnis. Die vielen Versuche des Handballs, in den USA Fuß zu fassen: bislang grandios gescheitert. Schon 1931 hatte ein deutscher Turner namens Ernst Lange eine Handballabteilung im „Deutschen Sport-Club zu New York“ gegründet. Die „Ausbreitung des Handballspiels in New York“ sei erst der Anfang, so Lange.
Das Endziel der Bestrebungen bestünde „in der weitgehenden Ausbreitung des Spieles auf 56 Colleges und Universitäten in den Vereinigten Staaten. Die Zukunft wird zeigen, ob ein solcher Plan durchführbar ist.“ Beim Feldhandballturnier der Olympischen Spiele 1936 in Berlin ging tatsächlich eine US-Auswahl an den Start. Die meisten Spieler hatten, wie etwa Henry und Otto Oehler oder William Ahlemeyer, deutsche Nachnamen, waren also deutschstämmig. Sie alle spielten im German Sport Club Brooklyn und im German-American AC Queens, also in zwei Clubs in New York. Doch die Idee Langes, das Spiel über die USUniversitäten und Colleges zu popularisieren, ließ sich nicht realisieren. Anfang der 1960er Jahre herrschte eine neue Euphorie.
Es könne doch „keinen Zweifel darüber geben, dass das Handballspiel auch in Amerika eine zukunftsreiche und Erfolg versprechende Pflegestätte haben wird“, jubelte Siegfried Perrey, die rechte Hand von Willi Daume. Das Hallenspiel werde dort immer populärer, berichtete Perrey, es existiere bereits eine Meisterschaftsrunde mit je vier kanadischen und US-Mannschaften, dazu eine „Zehner- Liga“ in New York. Auch die Geschäftsleute seien auf den neuen Sport aufmerksam geworden, jubelte Perrey: „In Kanada überträgt das Fernsehen von Fall zu Fall große Hallenhandballspiele. Dieses hat in Amerika die Promoter auf den Plan gerufen. Sie wittern mit dem Handball ein großes Geschäft. Im Augenblick ist es bereits so weit, dass sich die Vereine selbst auf eigenes Risiko in die Öffentlichkeit wagen und den berufstüchtigen Managern die Pläne durchkreuzen.“ Perrey spekulierte über ein Handballturnier im Madison Square Garden, der berühmtesten Halle der Welt.
Viele Funktionäre, auch die der IHF, setzten damals große Hoffnung in Avery Brundage, den damaligen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Da Brundage alles Deutsche großartig fand, wähnte man ihn zwar als Freund des Handballs. Aber als das IOC im Juni 1961 knapp gegen die Aufnahme des Handballs für die Olympischen Spiele 1964 in Tokio votierte, argumentierten die meisten IOC-Mitglieder aus Nord- und Südamerika, diesen Sport nicht zu kennen. Vor diesem Hintergrund betrieb Dr. Peter Buehning die Gründung des US-Handballverbandes, 1962 wurden die USA formal als Mitglied in die IHF aufgenommen.
Buehning, ein deutschstämmiger Unternehmer, entwickelte in seiner Amtszeit als Präsident des US-Verbandes zahlreiche Initiativen, um den Handball in Nordamerika bekannter zu machen. Eine Idee bestand darin, dass er Europäer, die in den USA studierten oder arbeiteten, zu US-Nationalspielern umfunktionierte. Bereits bei der Feldhandball-WM 1963 in der Schweiz startete ein US-Team, in dem auch Schweizer und Deutsche spielten. Ein Jahr später, 1964 in der CSSR, nahmen die USA erstmals an einer Hallenweltmeisterschaft teil. Bei beiden Turnieren fungierte der Präsident des Verbandes, Buehning, als Kapitän des Teams. Pressesprecherin war Buehnings Frau Renate. Hans-Jürgen Hinrichs, zwischen 1989 und 1993 Präsident des Deutschen Handballbundes (DHB), berichtete, wie Buehning damals neue Spieler für sein Projekt gewann. Als Torwart hatte Hinrichs, bevor er in den USA beim Volkswagen-Konzern Karriere machte, mit der DHB-Auswahl an Weltmeisterschaften teilgenommen. „Völlig unerwartet“ habe ihn damals Buehning zu einem Training eingeladen. „Ich machte mit und traf eine nette Truppe, die meisten von ihnen europäischer Abstammung.“
Auf diese kuriose Weise geriet Hinrichs in die US-Auswahl für die WM 1964. „Buehning hatte einfach, ohne mich zu fragen, bei der Internationalen Handball Föderation um eine Ausnahmegenehmigung für mich und Fritz Hattig gebeten“, erzählte Hinrichs. Hattig, der in Stanford studierte, war vorher für den westdeutschen Club TuS Wellinghofen aufgelaufen. Vincent Drake, der dunkelhäutige Star des Teams, der mit seiner „Windmühlentechnik“ die Gegner verblüffte, war vorher professioneller Basketballer gewesen. Doch selbst die WM-Teilnahmen brachten den Handball in New York, Chicago oder San Francisco nicht wirklich voran. Deshalb ersann Buehning im Sommer 1969 einen neuen Plan und traf sich auf dem Höhepunkt des Vietnam- Krieges mit dem Vier-Sterne-General William Westmoreland, dem obersten Befehlshaber der US-Streitkräfte in Vietnam. Der eine, Buehning, wollte den Sport in den USA popularisieren. Der andere, Westmoreland, dachte über eine Image-Kampagne nach. Der General wollte der Öffentlichkeit demonstrieren, dass die US-Soldaten nicht nur zum Töten abgerichtet wurden. Also beschlossen sie eine gemeinsame Kampagne: ein Handballer-Casting in der US-Armee für das olympische Turnier 1972 in München. Der erste Sportler, der ausgewählt wurde, gewissermaßen die „Number One“, war Dennis Berkholtz, er wurde der Kapitän dieser Mannschaft von Handball-Nobodys. „Ich spielte Basketball. Was ich hörte, war: Handball sieht aus wie Wasserball“, sagt sein Kollege Rick Abrahamson. „Ich hatte keinen Schimmer, was Handball ist. Aber ich dachte, das ist besser als in der Army Dienst zu leisten“, erzählt Brad Schlesinger, einer der US-Boys. Maschinengewehre oder Friedenstauben? Gemetzel in Vietnam, stets den Vietcong vor Augen? Oder in der Heimat Handball spielen? Das waren die Optionen, die 1970 einigen Soldaten der US-Army aufgezeigt wurden, da fiel die Wahl nicht schwer. Die Motivation im Training war hoch. „Uns wurde gesagt: Wenn das Team die Qualifikation nicht schafft für München, dann ist Eure nächste Reise rüber nach Vietnam“, erzählt der Flügelspieler Jim Rogers. „Deshalb haben wir uns alle ziemlich angestrengt.“
In den ersten beiden Jahren verloren sie fast jedes Match. Aber dann, auch dank der Hilfe ihres sportlichen Beraters Bernhard Kempa, dem Feldhandball-Weltmeister von 1955, besiegten sie im Januar 1972 immerhin Österreich. Beim Olympia- Qualifikationsturnier in Elkart, Illinois, spielten sie im Februar 1972 vor über 7.000 Fans. Die Zuschauer wollten Joe Voelkert sehen, den lokalen Basketball- Hero, der erst ein halbes Jahr Handball spielte. Nach klaren Siegen gegen Mexiko und Argentinien siegte die USAuswahl im entscheidenden Spiel mit 15:11-Toren gegen Kanada. Der Flieger ging also nicht nach Hanoi, sondern nach München. Dort kassierten sie Niederlagen gegen Ungarn, Jugoslawien und Japan. Aber am 7. September 1972 siegten die USA sensationell in der Platzierungsrunde gegen Spanien (22:20). „Danach habe ich mich gefühlt, als hätte ich die Goldmedaille gewonnen“, erzählt Abrahamson. Doch auch durch dieses „Pentagon-Projekt“ erhielt der Handball keine nachhaltige Aufmerksamkeit in den USA. Zwar mühten sich Pioniere wie Berkholtz auch nach 1972 redlich.
Aber auch die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles und 1996 in Atlanta änderten nichts an dem Schattendasein dieser Sportart. Ebenso wenig der umtriebige Horst-Dieter Esch, der als Präsident des US-Handballverbandes 2010 ein bemerkenswertes Länderspiel zwischen Deutschland und Polen in den USA organisierte („The battle of Chicago“). Während Nationen wie Brasilien und vor allem Argentinien auf dem Kontinent sehr gute Fortschritte machen und sich kontinuierlich verbessern, sind die US-Handballer auch heute noch allenfalls drittklassig. Diese Beispiele zeigen, dass dem Handball eine Herkulesaufgabe bevorsteht. Andererseits sind bereits eine Reihe von konkreten Initiativen angestoßen, die von Jean Brihault, dem ehemaligen Präsidenten der Europäischen Handball Föderation (EHF), als US-Beauftragten der IHF organisiert werden (siehe Interview). Der IHF-Kongressbeschluss von Antalya 2017, den panamerikanischen Kontinentalverband nach dem Muster des Fußballs in einen nord- und südamerikanischen Ver band aufzusplitten, ist inzwischen vom Internationalen Sportgerichtshof CAS kassiert worden – unklar ist, wie diese Sache endet. Aber die IHF wird nach Informationen von HANDBALL inside daran festhalten, die Qualifikationen für künftige Weltmeisterschaften in einer Nord- und Südausscheidung durchführen zu lassen – so könnten sich USA-Teams leichter für die WM-Turniere oder Olympia qualifizieren. Auch dürften die USA künftig von Wildcards profitieren.
Eines der wichtigsten kurzfristigen Ziele ist, schlagkräftige Nationalmannschaften aufzustellen – ohne konkurrenzfähige US-Teams wird das Interesses des US-Fernsehens am Handball nicht wachsen. Daher hat der USA-Teamhandball mit Robert Hedin einen erfahrenen Trainer verpflichtet. Hedin, einst Coach in der Bundesliga (Melsungen) und in Norwegen, kam auf recht unorthodoxe Weise zu seinem neuen Job: „Meine Frau hat bei Facebook eine Anzeige entdeckt: Gesucht wird ein Trainer für die US-Nationalmannschaft“, erzählte er im Interview der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen. „Noch kurz überlegt – dann habe ich mich beworben. Nach einem Telefon-Interview hatte ich die Stelle.“ USA-Handballboss Cavanaugh freilich berichtet, dass Hedin aus einem Pool von 70 Kandidaten ausgewählt worden sei. Hedin, lobte er, sehe die große Geschichte, die hinter dem Projekt stehe, und helfe mit seiner großen Expertise. „Wir sprechen von den USA, das ist immer noch ein außergewöhnliches Land mit großer Sportgeschichte“, sagt Hedin. Der Coach steht freilich erst am Anfang. In Vorbereitung auf die Kanada-Playoffs testete er bereits eine Reihe von Spielern bei Lehrgängen in Deutschland. Insbesondere der fast zwei Meter große Halblinke Abou Fofana, der in East Orange, New Jersey, geboren wurde und in Nancy spielt, ist ein vielversprechendes Talent. Und dennoch macht sich der Schwede, der bei den Olympischen Spielen 1996 selbst einmal gegen die USA spielte, nun in Europa auf die Suche nach weiteren Spielern mit US-Staatsbürgerschaften, die seinem Team kurzfristig helfen könnten. In der Bundesliga kämen, so Hedin, beispielsweise Christopher Bissel (HC Erlangen) oder der Kroate Domagoj Srsen (TSV Hannover- Burgdorf), der in New York geboren wurde, dafür in Frage. Andere Spieler, die in den USA womöglich aus anderen Sportarten gecastet werden, sollen in großen Clubs ausgebildet werden. Dafür wollen die im Forum Club Handball organisierten Clubs eine hohe Summe investieren; der Plan besteht darin, diese Spieler in Frankreich, Schweden, Deutschland lernen zu lassen. Als Blaupause dafür dient der Erfolg der Frauennationalteams aus den Niederlanden und aus Brasilien, deren Spielerinnen in Dänemark und in Österreich die nötige Wettkampfhärte entwickelten und so in die Weltspitze vordrangen. Brasilien wurde 2013 sensationell Weltmeister, die Holländerinnen verkörpern seit Jahren Weltklasse-Niveau.
Beabsichtigt ist, dass die US-Frauen ab 2020/21 in einer französischen Liga mitspielen. „Es geht um eine siebenstellige Summe, die aus dem Signing Fee des neuen TV-Vertrages stammt“, berichtet FCH-Geschäftsführer Butzeck. „Aber eine solche Investition macht nur Sinn, wenn damit Maßnahmen verbunden sind, die eine Nachhaltigkeit garantieren.“ Es nütze ja wenig, wenn eine Spielergeneration gut ausgebildet werde, danach aber keine weitere folgen könne. Auch deshalb werden sich die Clubvertreter am 12. November in Basel mit IHF-Präsident Moustafa über künftige Modelle der Handballförderung beraten. Neue Strukturen sind jedoch schon entstanden. So profitiert der US-Verband, der in Colorado Springs sitzt, bereits von Geldflüssen des Olympischen Komitees der USA. Finanzielle Unterstützung fließt auch seitens der IHF. Die zentrale Aufgabe für die Zukunft aber besteht darin, Handball im Sportkanon der High Schools und Colleges zu etablieren, um den Nachwuchs für künftige Nationalmannschaften zu rekrutieren. Das ist ein langer Weg, denn um eine Handball-Liga an den Universitäten aufzubauen, muss dieser Sport an 40 Universitäten angeboten und betrieben werden.
Das Brett, das sie zu bohren haben, ist also dick, auch wenn es außerhalb der Universitäten erste zarte Ansätze gibt. „Im Raum New York gibt es bereits 40 Mannschaften“, weiß Hedin. „und in Chicago wird viel im Nachwuchsbereich gearbeitet“. Als erste Modellregion nehme man sich, berichtet Brihault, Kalifornien vor, den olympischen Gastgeber von 2028, danach sollen New York und Chicago folgen. Besonders viel verspricht man sich von dem Einfluss des früheren schwedischen Verbandspräsidenten Hans Erik Vestberg, der inzwischen als Vorstandschef des US-Medien-Riesen Verizon wirkt. Und dann war da ja noch die schon konkrete Idee, den Handball über eine Reality-Show im Fernsehen im ganzen Land bekannt zu machen. Sie bestand darin, Athleten aus anderen Sportarten (Basketball, American Football) auf den Handball umzuschulen und sie dabei mit der Kamera bis zu den Olympischen Spielen zu begleiten, erklärte Pionier Dennis Berkholtz im vergangenen Sommer.
Geplant war diese Show beim TVSender NBC. Der Executive Producer des Senders, Alexander Katz, hatte sich aus diesem Grund bereits mehrere große Handballspiele angesehen, etwa das VELUX EHF FINAL4 in Köln. Diese Idee liegt derzeit wieder auf Eis. Doch dafür zieht der Sender, der die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles übertragen wird, nach Informationen von HANDBALL inside in Erwägung, künftig die Handball- Weltmeisterschaften in den USA zu zeigen. Auch das wäre ein großer Fortschritt auf dem langen Weg, den der Handball noch vor sich hat, um Utopia in die Wirklichkeit zu verwandeln.
Dieser Artikel stammt aus der HANDBALL inside Ausgabe #23 5/2018. Autor: Erik Eggers
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Quelle: PM HANDBALL Inside
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