Im Exklusiv-Interview skizziert der Präsident der Europäischen Handball Föderation (EHF), Michael Wiederer, die ökonomischen Pläne für die europäischen Wettbewerbe. Im Jahr 2030 sollen sie eine Milliarde Euro wert sein.
Herr Wiederer, im Jahr 2018 haben EHF und EHF Marketing umfassende Vermarktungsverträge mit Infront und DAZN für den Zeitraum zwischen 2020 und 2030 geschlossen. Wie ist der Stand der Dinge?
Michael Wiederer: In der Praxis haben wir sofort begonnen, Arbeitsund Organisationsstrukturen einzurichten mit dem Verständnis, dass es viele involvierte Akteure gibt. Es gibt zudem Kommunikationsbedarf zwischen EHF, die von Infront und DAZN die Indoor-EUROs und die Beachhandball-EUROs vermarkten lässt, und der EHFM, welche die Clubwettbewerbe verantwortet.
Welche Ebenen gibt es?
Wiederer: Es gibt zehn Task Forces, die sich mit einzelnen Themen beschäftigen: Brand, Media Sales, Produktion usw. Diese Arbeitsgruppen sind jeweils mit Mitarbeitern von EHFM und EHF sowie von Infront und DAZN besetzt. Deren Arbeit läuft in einem Steering Board zusammen, dem neben EHF-Generalsekretär Martin Hausleitner und EHF-Business Development/Marketing-Manager JJ Rowland EHFM-Geschäftsführer David Szlezak, ein weiterer EHFM-Mitarbeiter und je zwei Vertreter von Infront und DAZN angehören. Sie fassen diese Themen zusammen und legen sie dem Strategy Committee vor, das alle Entscheidungen grundsätzlicher Art trifft. Zu diesem Komitee gehören der Vice President Sommersport von Infront, Julien Ternisien, Jacopo Tonoli von DAZN, ich für die EHF, für die Clubs Gregor Planteu und ab 2021 auch der Chairman des Nations Board.
Die Kooperation mit den Clubs läuft gut?
Wiederer: Die ist die Basis für die Entwicklung der Wettbewerbe. Wenn wir mit Infront und DAZN über die zu klärenden Dinge sprechen, dann hat es immer schon eine Abstimmung mit den Clubvertretern gegeben. Dafür haben wir die Clubboards geschaffen, in denen Grundsatzfragen wie Hallenkapazitäten, Hallenböden und andere Investitionen besprochen werden. Es gibt einen erheblichen Koordinationsbedarf. Den Meetingkalender dafür haben wir bei der Sitzung des Exekutivkomitees Mitte September in Belgrad für das ganze Jahr 2020 festgelegt.
Im Falle Deutschlands haben sich die öffentlich-rechtlichen Sender die Rechte an den EUROs bis 2024 gesichert. Die VELUX EHF Champions League wird bis Sommer 2020 von Sky übertragen. Wie sieht es für die Clubwettbewerbe für die Zeit danach aus?
Wiederer: Wir sind sehr stolz darauf, dass die EUROs seit der Gründung des Turniers im Jahr 1994 von ARD und ZDF übertragen werden. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man auf andere Mannschaftssportarten schaut. Insofern ist der neue Vertrag eine positive Fortsetzung dieser tollen Präsenz. Was die Clubwettbewerbe angeht, kann ich keinen Kommentar abgeben. Wir sind zwar informiert, aber die Verhandlungen führt Infront.
Wie sieht es mit anderen Märkten aus?
Wiederer: Der Sender Arena Sport hat für den Balkan die Rechte für die Zeit bis 2024 sowohl für die Clubwettbewerbe als auch für die EUROs erworben. Die Marktsituation in den verschiedenen Ländern hängt immer mit anderen Verträgen zusammen. Ein Beispiel: Wenn in Deutschland die Ausschreibung der Fußballrechte läuft, dann hat das dort Vorrang. Aber wir wissen, dass Polen und Frankreich, die für uns wichtige Märkte sind, derzeit in Verhandlungen sind.
Schon im Juni schloss Infront für den skandinavischen Raum einen Vertrag mit der NENT Group. Ist es richtig, dass allein dieser Kontrakt die Summe, die Infront und DAZN der EHF für die zehn Jahre garantieren, rechtfertigt?
Wiederer: Selbstverständlich ist der nordische Vertrag für alle sehr wichtig. Tatsache ist, dass der Männer- und Frauenhandball in Norwegen, Schweden und Dänemark auf allen Ebenen lukrativ ist. Das betrifft hauptsächlich die EUROs, aber auch immer mehr die Clubwettbewerbe. Da wir aber mit Infront eine Garantiesumme vereinbart haben, müssen Sie schon explizit Infront fragen, wie deren Kalkulationsmodell ist (lacht).
Die Rede war von einem Gesamtvolumen in Höhe von 500 Millionen Euro …
Wiederer: … es sind mehr als 500 Millionen.
Wie ist der Verteilungsschlüssel?
Wiederer: Es sind ja zwei Verträge, insofern sind die mehr als 500 Millionen von vornherein aufgeteilt. Der Vertrag für die Clubwettbewerbe beginnt 2020, der für die EURO ab 2022. Die Einnahmen bei den Clubwettbewerben werden etwa im Verhältnis 75:25 zwischen Männern und Frauen generiert und entsprechend, so der Input der Clubs, gesplittet. Für die Nationalmannschaftswettbewerbe der EHF liegt das Verhältnis der generierten Einnahmen und der Ausschüttung zwischen Männern und Frauen bei zwei Dritteln zu einem Drittel. Dabei gilt: Die Summen sind nicht linear, sondern sie steigen mit der Zeit kontinuierlich an. Zudem ist seit dem EHFKongress 2008 geregelt, dass nach jeder EURO acht Prozent der Erträge ausgeschüttet werden mit dem Zweck, damit die Abstellgebühren für die Profis zu bezahlen. Für die Clubwettbewerbe hat die EHFM mit den Clubs vereinbart, dass 80 Prozent der Erträge an die Clubs gehen und 20 Prozent an die EHFM. Das alles wird einerseits durch Wirtschaftsprüfer kontrolliert, andererseits durch sportpolitisch bestellte Vertreter.
Wie sieht es mit den Namensrechten aus?
Wiederer: Bekanntlich läuft der Vertrag mit VELUX für die EHF Champions League der Männer im Sommer 2020 aus, der mit Delo für den Frauenwettbewerb läuft bis Sommer 2021. Die Namensrechte sind Bestandteil des Vertrages mit Infront, dazu gibt es zurzeit ebenfalls Gespräche, auch mit Delo.
Wird es wie VELUX einen Partner für zehn Jahre geben?
Wiederer: Ich glaube, dass es nicht realistisch ist, einen Namensrechte- Vertrag für zehn Jahre abzuschließen – nicht in Europa und nicht in unserer Sportart. Aber ich bin natürlich optimistisch, dass für beide Ligen ein guter Partner gewonnen werden kann. Wir arbeiten auch hier zusammen mit Infront und DAZN, weil wir bestehende Partnerschaften einbringen wollen, wenn es möglich ist. Auch das ist ein Thema der Task Forces.
Gilt das auch für die European Handball League?
Wiederer: Selbstverständlich. Wir haben ja bisher für die EHF Cup Finals in Kiel, Magdeburg und Göppingen Partner gewonnen. Natürlich ist es das Ziel, das Namensrecht für die ganze Saison zu veräußern. Ich bin auch hier zuversichtlich, zumal wir diese Wettbewerbe einem Rebranding unterziehen. Wir wollen ein harmonisiertes Erscheinungsbild. Der Look des Handballs soll unter ein Dach.
Klingt so, als wollten Sie diesen Wettbewerb aufwerten …
Wiederer: Das ist unser klares Bestreben. Wir müssen die European Handball League und damit den gesamten europäischen Wettbewerb stärken. Nur auf diese Weise werden wir Clubs aus weiteren Nationen entwickeln können. Natürlich könnten, was die aktuelle Spielstärke angeht, noch mehr deutsche und französische Clubs in dieser Liga mitspielen. Aber wir wollen die Märkte nicht zu sehr verengen. In der EHF wird, glauben wir, so sehr schnell eine noch stärkere Konkurrenz herrschen. Das wird langfristig auch den Wettbewerb in der EHF Champions League forcieren.
Die EHF war Pionier in Sachen „Player Tracking“ und kooperiert schon seit 2016 mit Kinexon, das mit der HBL eben einen Kontrakt abgeschlossen hat. Werden diese Daten auch für den neuen Vertrag eine Rolle spielen?
Wiederer: Ich finde es sehr positiv, dass die HBL diesen umfassenden Vertrag eingegangen ist. Bei der EHF EURO 2020 werden wir mit Kinexon zusammenarbeiten – und sehr wahrscheinlich auch bei den kommenden Finalturnieren. Für die Clubwettbewerbe steht die EHFM mit Kinexon in Verhandlungen. Aufgrund der vielen Spiele dort ist das ein sehr aufwendiges Vorhaben, das muss man schon sagen.
Ein Vorteil ist, dass die EHF mit Select zusammenarbeitet, der Chip im Ball also vorhanden ist …
Wiederer: Das ist richtig. Mit Select wird für die Zeit über 2020 hinaus ebenfalls verhandelt. Und wenn wir das Kapitel Kinexon hinter uns haben, folgt das nächste, damit zusammenhängende Thema: die Verwertung dieser Daten, die wir aktuell ausgeschrieben haben. Auch darüber werden wir voraussichtlich im November noch entscheiden.
Wie ist der Stand in den außereuropäischen Märkten?
Wiederer: Ich erhoffe mir künftig Zuwächse in den USA, da der Weltverband IHF wirklich alles versucht, um dort Projekte auf die Beine zu stellen. Auch China ist für uns ein wichtiger zentraler Markt. Wenn der Handball dort in den Programmen vorkommt, produziert das gewaltige TV-Ratings. Für beide Länder gilt: Je größer dort der Markt ist, desto größer wird das Interesse an qualitativem Handball sein – und den können wir liefern. Und im arabischen Raum sind wir ebenfalls gut vertreten.
Denken Sie schon über 2030 hinaus?
Wiederer: Aber ja. Unser Ziel ist, zum Zeitpunkt der nächsten Verhandlungsrunde, also etwa im Jahr 2027, den Status eines „Einhorns“ erreicht zu haben. Mit diesem Begriff bezeichnet man Start-Ups, die mehr als eine Milliarde Dollar wert sind. Wenn wir es schaffen, den Handball auf allen Ebenen noch weiter zu professionalisieren, und so das Produkt voranbringen, dann bin ich überzeugt davon, dass wir das schaffen. Das ist jedenfalls Teil meines Masterplans.
DIE CHAMPIONS LEAGUE AB 2020
Ab der kommenden Saison wird die Champions League für die Männer wie für die Frauen einer Reform unterzogen. Dann werden nur noch 16 Teams in zwei Achtergruppen antreten (aktuell 28 Männer- Teams in zwei „Ligen“). Die Besetzung der 16 Teams wird dann laut Beschluss der EHF-Exekutive wie folgt aussehen: Plätze 1-9 Jeweils ein Team aus den neun führenden Nationen des EHF-Rankings. Platz 10 Ein Team aus der Nation, die in den vergangenen drei Spielzeiten die meisten EHF-Titel gewonnen hat (das wäre aktuell ein deutscher Vertreter). Plätze 11-16 Werden benannt durch die EHF-Exekutive auf Basis eines Kriterienkataloges. Die fünf Kriterien lauten: Spielstätte, TV und Digitales, Zuschauer, vergangene Resultate und „Produkt-Management“ durch die Clubs. Alle Kriterien werden gleichermaßen gewichtet.
Dieser Artikel stammt aus der HANDBALL inside Ausgabe #29 5/2019. Autor: Erik Eggers
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Quelle: PM
HANDBALL Inside