Nach fünf Jahren und über 600 Treffern – aktuell sind es 611 – nimmt Mathias Riedel am Saisonende Abschied von der HSG Konstanz. Statt 2. oder 3. Bundesliga mit der hohen zeitlichen und körperlichen Belastung setzt er den Fokus voll auf den Beruf, wird eine Ausbildung beim Zoll beginnen und zwischen der Ausbildungsstätte in Sigmaringen und Freiburg pendeln. Dort wird er – obwohl die Ausbildung kaum ein Training zulässt – für seinen Heimatverein HSG Freiburg spielen, der sich mit der Landesliga-Meisterschaft gerade den Aufstieg in die Südbadenliga gesichert hat.
Dies alles, obwohl er auch einige Angebote aus der ersten und zweiten Liga auf dem Tisch hatte. „Konstanz ist schon so etwas wie eine zweite Heimat geworden“, sagt Riedel aber. „Ich möchte die schöne Zeit hier nicht missen, wir haben viel erlebt. Allerdings freue mich auch auf die berufliche Chance.“ Dafür schlug er sämtliche attraktive Avancen aus. Bei der HSG Konstanz ist man zwar traurig über den Entschluss eines langjährigen Leistungsträgers und Anführers, der im Moment auch Co-Kapitän ist. „Helle“, betont Andre Melchert mit Bezug auf seinen ungewöhnlichen Spitznamen in Anlehnung an den zweiten seiner drei Vornamen, „war über die letzten Jahre ein sehr wichtiger Spieler für uns – in der Abwehr wie im Angriff.“ Doch der Sportliche Leiter der HSG freut sich auch für seinen torgefährlichen Rückraumspieler und dessen Möglichkeiten beim Zoll. Melchert: „Wir haben tolle Momente zusammen erlebt und mit Helle einen tollen Charakter kennengelernt. Wenn wir auch noch ein Ziel zusammen haben, so wünschen wir ihm bereits jetzt alles Gute für seinen weiteren Weg. Er weiß, dass bei uns jederzeit eine Türe für ihn offensteht.“
Für die Fans der HSG ist er eine Identifikationsfigur und ein ganz besonderer Sympathieträger, einer, der immer das offene Gespräch mit den Anhängern sucht und sich auch unbequemen Situationen nicht entzieht. Eben einer, der nicht die lauten Töne anschlägt, aber dessen Wort Gewicht hat und geschätzt wird. So ist es auch in der sehr jungen Mannschaft der HSG Konstanz, in der er mit seinen 30 Lenzen schon seit Jahren der älteste Spieler war. Respekt hat er sich mit seinen Leistungen über all die Jahre früh erarbeitet. Anfangs noch gar nicht vom Handball überzeugt, fand er in Freiburg doch bald Gefallen an jenem Sport, den er fortan in so ziemlich jeder Liga dominierte. Torschützenkönig in der Südbadenliga, Fast-Torschützenkönig als zweitbester Werfer in der Oberliga und dann bei der HSG zunächst in der 3. Liga, dann auch in der 2. Bundesliga oft bester Torschütze und ganz vorne in den Toplisten der höchsten Ligen zu finden.
Mit dem Ziel und Antrieb, sich weiterzuentwickeln, jedes Jahr besser zu werden, das Spiel besser zu verstehen und mehr Tore zu erzielen, kam er 2013 aus der Oberliga nach Konstanz. Und als Top-Zweitligaspieler, der Angebote aus der stärksten Liga der Welt hatte, geht er „mit einem lachenden und weinenden Auge“, so Riedel, den Weg zurück zu seinen Wurzeln, weg vom Leistungssport in den allerhöchsten Ligen. „Jetzt zählt der neue Beruf, da bleibt sehr wenig Zeit für Training“, erklärt er und fügt mit einem Lächeln an: „Und in Freiburg freue ich mich auf Familie und alte Freunde.“ Körperlich fühlt er sich zwar noch fit, mit der aktuellen Saison ist er allerdings nicht zufrieden – trotz bislang 109 Saisontoren. Zu wenig, für einen, der seit Jahren als Fels in der Abwehr-Brandung und vorne als Shooter überzeugt, obwohl ihm dieser Begriff selbst gar nicht gefällt. „Ein klassischer Shooter wollte ich gar nie sein“, begründet der 1,97 Meter große und 102 Kilogramm schwere Athlet, der sich am Bodensee extrem weiterentwickelt hat. „Ich wollte mehr als nur werfen.“ Dieses Vorhaben wurde dann auch zu seiner Stärke, dank viel Spielzeit und Vertrauen. Werfen kann er zwar auch aus der zweiten und dritten Reihe, echte Probleme bereitet er den Abwehrreihen des Gegners jedoch zudem immer wieder durch seine gefährlichen Durchbrüche im Eins-gegen-Eins oder seinen Anspielen an den Kreis und auf die Außen. Diese große Variabilität und enorme Spielstärke für einen halblinken Rückraumspieler wurde bald zu so etwas wie seinem Markenzeichen. Schwer ausrechenbar, unangenehm zu verteidigen – und deshalb so wertvoll, für seine Mannschaft und Mitspieler.
Doch nun soll Schluss sein mit der Belastung in den obersten Ligen. „Ich freue mich“, sagt der gebürtige Freiburger, „bald auf ein wenig mehr freie Zeit. Die Saison in der 2. Bundesliga ist schon verdammt lang und intensiv.“ Bei den verrinnenden Spielen bis Saisonende – noch sind es sechs an der Zahl – wird ihm jedes Mal beim Einlaufen in die Halle bewusst, dass die Zeit, vor voller Schänzlehölle gegen extrem starke Gegner anzutreten dem Ende entgegen geht. „Da holt mich die Realität dann ein. Ein paar Emotionen kommen da schon hoch.“ Er sagt es so, dass man merkt: Der Fels in der Brandung, der Große im Team, der er immer war, ist mit sich im Reinen, hat noch ein Ziel, eine Mission.
„Wir haben“, blickt er mit funkelnden Augen zurück, „in den letzten beiden Jahren so viel geopfert und gearbeitet, um in die 2. Bundesliga aufzusteigen und anschließend den Klassenerhalt zu schaffen.“ Dann verdunkelt sich seine Miene. Die aktuelle sportliche Situation zehrt am künftigen Beamten. „Dumme Spiele“ seien dabei gewesen, nicht ineinander greifende Rädchen, nicht abgerufenes Leistungsvermögen, Kleinigkeiten, die gefehlt haben, um die sich mehrmals bietende Chance auf Punkte in engen Spielen zu ergreifen, sodass nun ein schweres, aber eben nicht unmögliches Finale bevorsteht. Riedel: „Die Stimmung im Team ist wie immer toll und besonders – nur der Erfolg fehlt. Jetzt kommen die entscheidenden Spiele.“ Denn der Rückhalt in der Stadt beeindruckt ihn nach wie vor: „Man redet überall über die HSG und wird oft erkannt. Diese Stadt, diese Fans und das Team haben die zweite Liga verdient. Deshalb gibt von uns kein einziger auf, das merkt man allen an.“ Meisterschaften hat der großgewachsene Hüne schon einige gefeiert, abgestiegen ist er noch nie. „Der Gedanke an ein solches Szenario ist kein schöner, das will keiner. Jeder will fighten, das ist das, was uns auszeichnet.“
Der Schalter müsse nun umgelegt werden, appelliert er, nach wie vor voller Herzblut. „Alle müssen ihr Niveau abrufen – gleichzeitig! Da zählt kein schöner Handball, wir dürfen gerne nach einem schlechten Spiel jubeln“, bekräftigt das Rückraum-Ass. Sich selbst nimmt er dabei ausdrücklich nicht aus, sagt dass er der Mannschaft gerne mehr helfen wolle. „Bock auf den Endspurt“, nennt Mathias Riedel das. Denn er möchte sich bei vielen liebgewordenen Menschen in Konstanz bedanken, auf seine Weise, mit dem, was er besonders gut kann: Toren, Erfolgen – und dem erneuten Klassenverbleib. „Ich hatte hier fünf richtig geile Jahre“, verdrückt er innerlich schön ein paar Tränen und fügt an: „Viele Menschen sind mir hier ans Herz gewachsen. Wenn die Fans zahlreich mit nach Wilhelmshaven fahren, oder auch privat immer ein offenes Ohr haben sind das ganz besondere Begegnungen.“ Nach einer kurzen Pause sagt er mit einem breiten Grinsen: „Allen danke für diese speziellen Momente. Und an die Fans: Bei der HSG wird auch in Zukunft toller Handball gespielt, mit neuen Lieblingen.“
Damit dies im insgesamt sechsten Zweitligajahr der HSG stattfindet, werden nochmals alle Kräfte mobilisiert. „Wir haben sechs Wochen, um alles reinzuhauen“, so Riedel. „Abgerechnet wird am Schluss.“ Erst dann zählt auch die neue Aufgabe und Herausforderung mit dem Pendeln zwischen Breisgau und Oberschwaben. Bei 611 Toren für die HSG Konstanz wird es bis dahin gewiss nicht bleiben. Nochmal die Liga aufmischen, das wäre genau nach dem Geschmack von Mathias Riedel – und allen Konstanzern.
Weitere Informationen unter:
www.hsgkonstanz.de
Quelle: PM HSG Konstanz