Dank einer starken zweiten Halbzeit hat der THW Kiel am Dienstagabend das 79. Landesderby gegen die SG Flensburg-Handewitt für sich entschieden und damit einen totalen Fehlstart in die Bundesligasaison verhindert. Vor 10.285 Zuschauern in der ausverkauften Sparkassen-Arena siegten die "Zebras" mit einer starken Abwehr und dem grandios aufgelegten Torhüter Johan Sjöstrand mit 30:26 (13:15). Erfolgreichste Torschützen bei den Kielern waren Kapitän Filip Jicha mit 7/1 und Neuzugang Steffen Weinhold mit sechs Treffern, bei der SG waren Holger Glandorf und Lasse Svan ebenfalls sechs Mal erfolgreich.
94 Tage, nachdem der THW im dramatischsten Bundesligafinale aller Zeiten noch die Rhein-Neckar Löwen abfangen konnten, stand im Kieler Handballtempel wieder ein Pflichtspiel auf dem Plan. Und was für eines: Duell des Meisters mit dem Champions-League-Sieger, Neuauflage der Königsklassenfinals von 2007 und 2014, oder wie die Gästefans es gerne nannten: Tabellenschlusslicht gegen verlustpunktfreie Flensburger. Kurzum: Herzlichen Willkommen in der Sparkassen-Arena zum 79. Landesderby!
Nach dem missglückten Ligastart in Lemgo setzte Alfred Gislason gegen die SG auf eine eingespielte Rückraumachse. Der am Wochenende noch aufgrund einer Zerrung pausierende Aron Palmarsson sollte von Beginn an die Fäden auf der Rückraummitte ziehen, an seiner Seite wusste er mit Filip Jicha und Marko Vujin die besten Feldtorschützen der vergangenen Spielzeit. Und es war tatsächlich Palmarsson, der nach zwei erfolgreichen Svan-Gegenstößen das erste Tor für die „Zebras“ erzielte. Allerdings: Es sollte die letzte Aktion des Isländers sein, der wie schon beim 77. Landesderby im Mai früh zur Bank humpelte und fortan zum Zuschauen verdammt war.
Neuzugang Domagoj Duvnjak übernahm Palmarssons Position, und zunächst lief es beim THW rund: Johan Sjöstrand parierte gegen Drasko Nenadic, auf der Gegenseite schraubte sich Jicha zum 2:2 hoch. Die Gäste taten sich schwer gegen die 3:2:1-Deckung der Kieler mit Jicha an der Spitze und dem Ex-Flensburger Steffen Weinhold für Vujin auf der Halbposition. Nachdem Anders Eggert bei drohendem Zeitspiel aus schlechtem Winkel an Sjöstrand scheiterte, Duvnjak sich per zweiter Welle unnachahmlich zum 4:3 durchtankte und Dominik Klein wenig später den Ball stibitzte und den Gegenstoß zum 5:3 versenkte, kochte die Sparkassen-Arena erstmals. Da Mattias Andersson ein Vujin-Geschoss erst hinter der Torlinie entschärfen konnte und Duvnjak nachlegte, lagen die „Zebras“ nach zehn Minuten sogar bereits mit 7:4 in Front.
Doch wenig später zeigte der THW wieder sein zweites Gesicht – eben jenes aus der Lipperlandhalle, das die Feinabstimmung noch ein wenig vermissen lässt. So scheiterte Vujin aus dem Rückraum an Andersson und warf einen Strafwurf über den Kasten. So unterliefen Duvnjak beim Versuch, den von der Flensburger 6:0-Deckung stets gut abgeschirmten René Toft Hansen in Szene zu setzen, binnen 60 Sekunden gleich zwei Ballverluste. So schaltete Eggert am schnellsten, als Sjöstrand einen Glandorf-Wurf parierte, und netzte im zweiten Versuch doch noch für die Gäste ein. Bis zur 21. Spielminute wollte dem THW nur ein einziger Treffer gelingen, während Flensburg mit einem gut aufgelegten Nenadic und dem langsam aufdrehenden Thomas Mogensen mit 10:8 in Führung ging.
Alfred Gislason hatte bereits Joan Cañellas und Patrick Wiencek eingewechselt, aber nach seiner Auszeit nahm der Trainer noch eine weitere Änderung vor: Weinhold übernahm nun auch die halbrechte Position im Angriff vom unglücklich agierenden Vujin. Dieser Schachzug sollte sich auszeichnen, denn gegen seinen Ex-Club drehte Kiels neuer Linkshänder sofort auf: Nach einem Ballverlust der Flensburger wuchtete Weinhold den Ball im erweiterten Gegenstoß an Andersson vorbei zum 9:10 ins Tor und sorgte mit einem Durchbruch von der rechten Seite auch für den 10:10-Ausgleich, nachdem der famose Sjöstrand nach einer schnellen Mitte der SG gegen den völlig freien Eggert rettete. Als Jicha nach einem Schubser gegen Mogensen die erste Zeitstrafe des Derbys kassierte, war es erneut Weinhold, der mit einem ansatzlosen Wurf in Unterzahl das 11:11 markierte.
Doch ein Weinhold allein reichte den „Zebras“ im ersten Durchgang nicht, zumal Sjöstrand in der Schlussphase keine Parade mehr gelingen wollte. Nachdem Cañellas mit einem Siebenmeter an Andersson scheiterte und Duvnjak den Ball aufgrund Wegrutschens verlor, war die SG plötzlich wieder auf 14:11 enteilt. Immerhin nutzten die Kieler den letzten Angriff, um durch den von Weinhold eingesetzten Ekberg in Überzahl noch zum 13:15-Pausenstand zu verkürzen.
Weiterhin mit einer 3:2:1-Deckung, an deren Spitze sich Jicha und Cañellas abwechselten, aber nun mit Wiencek dort auf der rechten Halbposition, kehrten die Kieler aus den Kabinen zurück. Die Abwehr machte nun einen entschlosseneren Eindruck und zwang Nenadic im ersten Flensburger Angriff gleich zu einem Fehlpass. Auf der Gegenseite tankte sich Jicha zum 14:15 durch, obendrein kassierte Mogensen eine Zeitstrafe. Die SG schaffte es, fast die gesamten zwei Minuten runterzuspielen, ehe sich Wiencek bei einem geplanten Kreisanspiel den Ball schnappte und Ekberg endlich egalisierte. Vier Minuten später war es dann endlich soweit: Nachdem Sjöstrand, der das Torhüterduell gegen Andersson klar für sich entschied, einen Eggert-Strafwurf entschärfte und den Versuch aus dem Rückraum von Landsmann Johan Jakobsson gar festhalten konnte, brachte Weinhold den THW beim 17:16 erstmals seit der Anfangsviertelstunde wieder in Führung. Die Sparkassen-Arena brodelte.
Doch der amtierende Champions-League-Sieger hielt zunächst noch dagegen, der diesmal vom Siebenmeterstrich erfolgreiche Eggert und Svan egalisierten noch einmal zum 18:18. Mit dem bislang besten Spielzug der Partie holten sich die Kieler die Führung aber postwendend zurück: Über Weinhold und Duvnjak landete der Ball am Kreis bei Ekberg; der Schwede wurde von seinem Gegenspieler zwar festgemacht, doch im letzten Moment passte er weiter auf Linksaußen Klein, der für das 19:18 sorgte. Wenige Sekunden später sprintete Ekberg in ein Flensburger Missverständnis und bediente seinen Kapitän zum 20:18. Und nachdem Sjöstrand nacheinander gegen Radivojevic, Glandorf und Mogensen parierte, Duvnjak endlich Toft Hansen in Szene setzen konnte, Jicha den Kieler Siebenmeterfluch beendete und Cañellas in Überzahl zum 23:18 einnetzte, waren die „Zebras“ Mitte der zweiten Halbzeit plötzlich enteilt.
Ljubomir Vranjes nahm seine Auszeit, doch nach Wiederanpfiff hatte Mogensen Pech mit einem Pfostentreffer, während Toft Hansen im erweiterten Gegenstoß das 24:18 besorgte. Die schwarz-weißen Fans in der Sparkassen-Arena hatten bereits auf Feiermodus umgestellt, doch Flensburg gab sich mit aggressiverer Abwehr und dank dreier Andersson-Paraden noch nicht geschlagen: Binnen drei Minuten verkürzten Jacob Heinl, Lars Kaufmann und Glandorf auf 21:24 und zwangen Gislason dazu, seine Mannschaft zusammen zu trommeln. Dann fasste sich einmal mehr Steffen Weinhold ein Herz und zimmerte den Ball per Sprungwurf zum wichtigen 25:21 in die Maschen. Als Glandorf den Ball anschließend an die Latte warf und Jicha in Unterzahl einen Flensburger Querpass abfing und den Gegenstoß zum 26:21 verwandelte, war die 79. Auflage des Landesderbys endgültig entschieden.
Der Rest geriet zum Schaulaufen: Der von Cañellas bediente Wiencek traf artistisch per Rückhandwurf nach einer eingesprungenen Pirouette zum 27:21, Ekberg profitierte einmal mehr von der Spielübersicht Weinholds beim 28:21, und Eigengewächs Rune Dahmkes erste fünf Bundesligaminuten bekamen einen Sonderapplaus. Dass Flensburg in den Schlussminuten noch verkürzen konnte und sich damit in der Tabelle noch vor dem THW behaupten konnte, war Fans und Mannschaft erst einmal egal. Denn der drohende Fehlstart wurde erfolgreich abgewendet, und am kommenden Sonntag können die „Zebras“ mit etwas breiterer Brust das etwas kleinere Nordderby beim HSV Hamburg angehen. Der Anwurf in der o2-World erfolgt um 17.15 Uhr, Sport1 überträgt erneut live.
Zitat Ljubomir Vranjes (Trainer SG Flensburg-Handewitt): "Glückwunsch an den THW zu einem verdienten Sieg. Ich bin natürlich nicht zufrieden, dass wir verloren haben. Aber wir haben in der ersten Halbzeit unsere Sache sehr gut gemacht. Deshalb musste ich in der Pause nicht viel ändern. Dann hatten wir aber Riesen-Probleme mit der Kieler Abwehr, auch weil uns die Zwei-Minuten-Strafen direkt nach der Pause hart getroffen haben. Von 18:18 ist der THW dann auf 24:18 davon gezogen. Wir haben schlecht im Angriff gespielt, und der THW hat dies wie immer hart bestraft. Ich hatte mir das heute anders vorgestellt. Den Torwart zu wechseln, hatte ich nicht in Betracht gezogen. Wir haben fast alle Tore über Gegenstöße kassiert, ich habe nur einen Fehler beim Torwart gesehen, dafür wechsele ich ihn nicht aus."
Quelle: http://www.thw-handball.de